20.00 Uhr
Erinys Quartet
Vogler Quartett
Tim Vogler Violine
Frank Reinecke Violine
Stefan Fehlandt Viola
Stephan Forck Violoncello
Programm
Louis-Théodore Gouvy (1819 – 1898)
Streichquartett Nr. 5 c-Moll op. 68 (1874)
Allegro con brio
Allegretto moderato
Andante con moto
Allegretto agitato
PAUSE
Erwin Schulhoff (1894 – 1942)
Fünf Stücke für Streichquartett (1923)
Alla Valse viennese. Allegro
Alla Serenata. Allegretto con moto
Alla Czeca. Molto allegro
Alla Tango milonga. Andante
Alla Tarantella. Prestissimo con fuoco
Giuseppe Verdi (1813 – 1901)
Streichquartett e-Moll
Allegro
Andantino con eleganza
Prestissimo
Scherzo – Fuga. Allegro assai mosso – Poco più presto
Gouvys fünftes Streichquartett
„Dass ein Musiker vom Rang des Herrn Gouvy in Paris noch so wenig bekannt ist, während Schwärme von Mücken das Publikum mit ihrem hartnäckigen Gesumm belästigen, das muss die naiven Geister verblüffen und empören, die noch an den Verstand und die Gerechtigkeit unserer musikalischen Sitten glauben.“ So schrieb Hector Berlioz 1851 im „Journal des Débats“ über den in Goffontaine (heute Saarbrücken) geborenen Louis-Théodore Gouvy, der 1837 zunächst nach Paris gegangen war, um Jura zu studieren. Da er hier am Konservatorium keinen Musikunterricht erhalten konnte, nahm er an Privatkursen teil. Und da er sich mehr zur Instrumentalmusik als zur Oper hingezogen fühlte, war ihm auch Deutschland so etwas wie eine künstlerische Heimat, zumal er hier zahlreiche Auftrittsmöglichkeiten erhielt.
Obwohl Gouvys fünftes und letztes Quartett von 1874 den höchsten Rang unter seinen Beiträgen zu dieser Gattung einnimmt, äußerte er sich selbstkritisch und meinte, dass er wohl „noch ein halbes Dutzend Quartette“ komponieren müsse, um „den Quartettstil“ endlich zu beherrschen. Das der Sonatenform folgende Allegro con brio ist ein Muster streng motivischer Zusammenhangsbildung. Im folgenden g-Moll-Allegretto sind Elemente aus Menuett und Scherzo miteinander verbunden. Das serenadenhafte Es-Dur-Intermezzo ist eine figurative Variationenfolge, dessen lebhaftes „Vivo“ im Zentrum des Satzes an die „Canzonetta“ aus Mendelssohn-Bartholdys Es-Dur-Streichquartett erinnert. Beschlossen wird das Quartett mit einem Rondo im Allegretto agitato.
Schulhoffs Fünf Stücke für Streichquartett
Schon als Zehnjähriger war Erwin Schulhoff auf Empfehlung Dvořáks am Konservatorium seiner Heimatstadt Prag aufgenommen worden und setzte bald darauf seine Ausbildung in Wien, Leipzig und Köln fort. Doch war er, der später oft Jazziges in seinen Kompositionen anklingen ließ, auch offen für Einflüsse jenseits der „Hochkultur“. 1921 hatte Schulhoff an Alban Berg geschrieben, dass er „eine außerordentliche Leidenschaft für modische Tänze“ habe, und es Zeiten gäbe, da gehe er Nacht für Nacht „allein aus Begeisterung für den Rhythmus und aus unterbewusster Sinnlichkeit“ tanzen. Davon zeugen seine Ende 1923 entstandenen Fünf Stücke für Streichquartett, die Darius Milhaud gewidmet sind. „Alla Valse viennese“ ist ein Walzer im Alla-breve-Takt. In „Alla Serenata“ (im unregelmäßigen 5/8-Takt) und in „Alla Czeca“ sind Furiant und Polka stilisiert. „Alla Tango milonga“ und „Alla Tarantella“ sind schmissige Tanznummern.
Nachdem die Fünf Stücke 1924 beim IGNM-Fest in Salzburg uraufgeführt worden waren, belächelte die Rezension die Stücke als „nette und schwungvolle Tanzstücke“ und sprach von „niedlichen Tanzbagatellen“. Doch dem Komponisten gelang mit ihnen der Durchbruch.
Verdis Streichquartett
Dass Giuseppe Verdi behauptete, sein Streichquartett von 1873, das sein einziges Werk der Instrumentalmusik geblieben ist, nur zum eigenen Zeitvertreib geschrieben zu haben, mag sich als Ironie oder falsche Bescheidenheit verstehen lassen. Dass er in einem Brief an den Schriftsteller Opprandino Arrivabene vom 16. April 1873 die Ansicht vertrat, dass ein Streichquartett in Italien einer „Pflanze außerhalb ihres Klimas“ gliche und gar nicht so einfach aus dem deutsch-österreichischen Raum zu importieren sei, ist dagegen ernst zu nehmen. Er wusste, welche Ansprüche an einen Komponisten gestellt waren, der nach Haydn, Mozart und Beethoven ein Quartett schreiben wollte.
Selbstkritisch, aber doch nicht ohne Stolz, fällte Verdi sein eigenes Urteil über das Werk, indem er sagte, er wisse zwar nicht, ob das Quartett gut oder schlecht sei, wohl aber, dass es ein Quartett sei. Die Komposition bezeugt eine genaue Kenntnis der Gattungsgeschichte, mit der ihn sein Lehrer Vincenzo Lavigna vertraut gemacht hatte. In Verdis Bibliothek befanden sich Partituren von Quartetten der Wiener Klassiker. Vor allem die Ecksätze seines Quartetts verraten, wie intensiv er die darin entwickelten Kompositionstechniken, die durchbrochene Arbeit und die imitatorische Stimmführung, studiert hatte. Dagegen weisen die mittleren Genresätze ganz typische Eigenarten für Verdi auf. Der zweite Satz gleicht der Ballata eines Studenten, der sein larmoyantes Ständchen über einem Pizzicato-Bass spielt. Manfred Hermann Schmid vermutet sogar, dass Verdi es in Reaktion auf das von Beckmesser in Wagners „Meistersingern” entstellte Preislied komponiert haben könnte. Der Hauptteil des Scherzos erinnert an eine „Danse infernale“, einen höllischen Tanz, wie Verdi ihn in der Ballettmusik seines „Macbeth“ komponiert hat. Das von Verdi selbst als „Scherzo-Fuge“ bezeichnete Finale knüpft an Haydns Spielfugen aus dessen Opus 20 an. Manche wollten in ihr auch einen Vorgriff auf die Schluss-Szene des „Falstaff“, „Tutto nel mondo è burla“ („die ganze Welt ist Komödie“) vernehmen.
Verdi ließ das Quartett zunächst nur in seinem Anwesen Sant’ Agata in Busetto in kleinem Kreis aufführen. Er maß ihm „nicht die geringste Bedeutung“ bei und wollte es auch nicht herausbringen. Erst am 1. Juni 1876 willigte er in die öffentliche Aufführung im Hôtel de Bade in Paris ein und ließ es danach doch drucken. Später hat er sogar eine Fassung für Streichorchester eingerichtet.
Das Ensemble, das seit 1985 in unveränderter Besetzung spielt, wurde bereits ein Jahr nach seiner Gründung an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin mit dem Ersten Preis beim Streichquartettwettbewerb in Evian 1986 international bekannt. Eberhard Feltz, György Kurtág und das LaSalle Quartett, hier vor allem Walter Levin, förderten das Quartett und wurden zu prägenden Mentoren. Sein umfangreiches Repertoire reicht von Haydn über Bartók und die Zweite Wiener Schule bis zu Neuer Musik. So spielte es unter anderem die Werke von Karl Amadeus Hartmann sowie das mehrstündige Quartett Nr. 2 von Morton Feldman, realisierte zusammen mit dem Arditti Quartett einen Rihm-Zyklus zur EXPO 2000 und brachte Kompositionen beispielsweise von Moritz Eggert, Frank Michael Beyer, Ian Wilson, Jörg Widmann, Mauricio Kagel, Erhard Grosskopf, Taner Akyol und Sven-Ingo Koch zur Uraufführung. Regelmäßig arbeitet das Vogler Quartett mit Künstlern wie Jörg Widmann, David Orlowsky, Salome Kammer, Jochen Kowalski, Tatjana Masurenko oder Oliver Triendl zusammen. In der Vergangenheit konzertierte es unter anderem auch mit Lynn Harrell, James Levine, Bernard Greenhouse, Boris Pergamenschikow und Menahem Pressler.
In den europäischen Musikzentren fühlen sich die vier Musiker ebenso zu Hause wie in den USA, Japan, Australien und Neuseeland. Seit 1993 veranstaltet das Vogler Quartett im Berliner Konzerthaus am Gendarmenmarkt eine eigene Konzertreihe, seit 2000 ebenfalls in Neubrandenburg. 2000 gründete das Ensemble das jährlich stattfindende Kammermusikfestival „Musik in Drumcliffe“ im irischen Sligo und übernahm 2002 die künstlerische Leitung der Kammermusiktage Homburg/Saar. Die Mitglieder des Vogler Quartetts unterrichten an den Hochschulen in Berlin, Frankfurt, Leipzig und Stuttgart und geben Meisterkurse für professionelle Quartette in Europa und Übersee. Als Nachfolger des Melos-Quartetts hatte das Vogler Quartett die Professur für Kammermusik an der Musikhochschule in Stuttgart inne. Im Bereich der Musikvermittlung ist es bei „Musik in Drumcliffe“ und seit 2005 bei den mehrfach ausgezeichneten Nordhessischen Kindermusiktagen tätig.
Anlässlich des 30-jährigen Quartettjubiläums erschien Anfang 2015 im Berenberg Verlag das Buch „Eine Welt auf sechzehn Saiten – Gespräche mit dem Vogler Quartett“. Die Diskographie des Ensembles umfasst Werke unter anderem von Brahms, Schumann, Schubert, Mendelssohn, Reger, Schulhoff, Hartmann, Klarinettenquintette von Mozart und Golijov mit David Orlowsky sowie ein Tango-Album mit dem Bandoneonisten Marcelo Nisinman. Die CD „Paris Days – Berlin Nights“ mit Ute Lemper und Stefan Malzew erhielt eine Grammy-Nominierung. Sukzessive entsteht eine Gesamtaufnahme der Dvořák-Quartette für das Label cpo (vier Doppel-CDs sowie das Klavierquintett op. 81 liegen bereits vor).
Anfang 2021 erschienen zwei neue Alben beim Label Capriccio mit Werken von Georgi Catoire (mit Oliver Triendl) und Grigori Frid (mit Elisaveta Blumina). Beide waren für den International Classic Award ICMA nominiert.