Immer wieder mittwochs

von Konzerthaus Berlin 17. November 2025

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© Mathias Bothor

Pianistin Karla Haltenwanger und Cellistin Ilona Kindt, die gemeinsam mit Geigerin Birgit Erz seit 2006 das Boulanger Trio bilden, über Schaffen und Nachleben von Nadia und Lili Boulanger.

Wie kam das Boulanger Trio zu seinem Namen?

„Wir hatten den großen Wunsch, einen Namen zu finden, der uns wirklich was bedeutet. Ein schöner Zufall war, dass Karla am Tag vor unserem allerersten Treffen mit einer Flötistin Stücke von Lili Boulanger gespielt hatte.

Das brachte uns dazu, nachzuforschen, ob Lili vielleicht auch etwas für Klaviertrio geschrieben haben könnte. Tatsächlich gibt es zwei ganz wunderbare Stücke – ‚D'un matin de printemps‘ und ‚D'un soir triste‘ – die damals noch gar nicht verlegt waren. Wir begannen, uns weiter über Lili und ihre Schwester Nadia Boulanger zu informieren. Dabei hat sich dann für zwei von uns auch persönlich ein Kreis geschlossen: Karlas frühere Klavierlehrerin in Rumänien war ‚Enkelschülerin‘ von Nadia Boulanger, und Ilona hat an der Menuhin Academy studiert. Yehudi Menuhin war ein enger Freund von Nadia.

Wir fanden die Schwestern so beeindruckend, dass wir uns dachten: ‚Das ist der passende Namen für uns – aber wir müssen uns wirklich nach beiden benennen!‘“

Wie war die Beziehung zwischen Nadia und ihrer hochbegabten jüngeren Schwester Lili (1893-1918)?

„Nadia Boulanger hat das beeindruckend aufblühende Talent ihrer jüngeren Schwester unglaublich gefördert und unterstützt. Lili bekam dann als erste französische Komponistin den Prix de Rome zugesprochen. Nadia hat ihre Kompositionen nach dem frühen Tod der Schwester immer wieder aufgeführt. Sie wollte dieses Werk weitergeben und ist sehr bewusst mit ihrem eigenen Schaffen dahinter zurückgetreten, indem sie nichts mehr schrieb. Das fühlte sich für sie offenbar richtig an. Nadia war Pädagogin aus Leidenschaft. Sie hat ihren Platz gefunden, indem sie gelehrt und Wissen weitergegeben hat. Außerdem war sie Dirigentin und hat als erste Frau das Boston Symphony Orchestra geleitet. Das war damals eine Sensation.

Inzwischen werden Lilis Werke überall gespielt. Wir freuen uns sehr, dass ihre beiden Triostücke inzwischen ganz selbstverständlich zum Repertoire vieler Klaviertrios gehören. Und wir bekommen auch immer wieder Anfragen junger Ensembles zu unseren Liedbearbeitungen aus den ‚Clairières dans le ciel‘.“

Welche Rolle hatte Nadia Boulanger in der französischen Musikwelt?

„Sie war eine streitbare, starke, sehr bestimmende Frau mit ausgeprägten Überzeugungen, mit der nicht jeder klar kam. Alles, was sie gemacht hat, war unglaublich tiefgründig und durchdacht. Als Kompositionslehrerin hat sie ihre Schülerinnen und Schüler nicht einfach etwas schreiben lassen, bei ihr mussten Komposition und Harmonielehre wirklich von der Pike auf gelernt werden. Bach war für sie das Allerwichtigste und wurde in ihrem berühmten Salon viel diskutiert und gespielt.

Seit den 1920er Jahren bis beinahe zu ihrem Tod 1979 hat sie mittwochs zu sich nach Hause eingeladen. Dieser liebevoll ‚Boulangerie‘ genannte Jour Fixe war eine Institution in Paris und keineswegs eine Bohème-Veranstaltung. Er war ganz der Musik, den Werkanalysen und dem Kompositionsunterricht gewidmet. Neben ihrer Kompositionsklasse kamen auch Freunde wie Leonard Bernstein, George Enescu oder Yehudi Menuhin vorbei.

Nadia Boulanger wurde sehr geschätzt für ihre aufmerksame Art des Zuhörens, ihr unglaubliches Wissen, ihren Intellekt und ihren Weitblick. Sie hat viele Menschen ermutigt und jeden einzelnen ihrer Schüler und Schülerinnen auf einen ganz eigenen Weg gebracht. Zu den Komponistinnen, die sie unterrichtet hat, gehörten zum Beispiel Marion Bauer, Grazyna Bacewicz und Thea Musgrave.“

Was steht fürs Boulanger Trio während der Boulanger Hommage auf dem Programm?

„Im ersten Konzert am Mittwoch sind wir im inspirierend von Volker Hagedorn zusammengestellten ‚Salon Boulanger‘ zu Gast, der musikalisch und erzählerisch einen Bogen über die Leben und das Umfeld der zwei genialen Schwestern spannt. Und zwar nicht nur in unserer Trio-Konstellation, sondern in verschiedenen Besetzungen. Karla spielt zum Beispiel ein paar von Nadias Klavierkompositionen, aber auch ein Werk von Claude Debussy mit einem ungewöhnlichen Hintergrund: Zum Ende des Lebens ging es dem Komponisten finanziell sehr schlecht. Er bestellte Heizkohle und konnte sie nicht bezahlen. Der Kohlenhändler hat sie aber trotzdem dagelassen. Zum Dank schrieb Debussy ihm ein kleines Klavierstück. Er hat es nie gehört – seine Erben fanden es erst 84 Jahre später.“

Und was erwartet das Publikum bei „Teach me!“?

„Am Samstag widmen wir uns einigen der vielen großartigen Schüler von Nadia Boulanger. Ihre Musik ist eigentlich völlig unterschiedlich, aber was sie alle gemeinsam haben, ist dieses unglaublich solide Handwerk, das Nadia Boulanger ihnen mitgegeben hat. Diese Klarheit, dieses strukturelle Denken, das merkt man einfach. Seit unserer Aufnahme 2021 haben wir noch viel mehr entdeckt, und einiges davon wollen wir jetzt wieder aufgreifen.

Zuerst spielen wir ein frisches Trio von Jean Françaix, der als sehr junger Mann bei ihr lernte, dann Aaron Coplands ‚Vitebsk‘, ein intensives, kraftvolles Stück, das in einen wilden Tanz übergeht. Leonard Bernstein steuert Themen aus ‚West Side Story‘ bei. Er hat Nadia spät im Leben kennengelernt und war kein Schüler, pflegte aber eine innige Freundschaft mit ihr und hat ihr alle seine Werke gezeigt.

Quincy Jones, der die Titelmusik von ‚The Color Purple‘ geschrieben hat, durfte in den USA damals aufgrund seiner Hautfarbe nicht für Streicher komponieren. Die Zeit in Paris bei Nadia Boulanger war enorm befreiend für ihn, denn sie hat ihn wie jeden anderen Schüler einfach so angenommen, wie er war. Bis ins hohe Alter hat er sehr liebevoll und respektvoll über sie gesprochen und geschrieben.

Nach ‚Head on‘ von Philip Glass, einem kurzen, aber sehr coolen Minimal-Stück, spielen wir noch Astor Piazzollas ‚Jahreszeiten‘. Er hat vorher in Buenos Aires bei Alberto Ginastera studiert und war ganz bestrebt, ein guter Sinfonie- und Sonatenkomponist zu werden, dafür kam mit einem Stipendium und einem ganzen Koffer voller Noten nach Paris. Aber dessen Inhalt ließ Nadia völlig kalt. Sie versuchte herauszufinden, was eigentlich seine musikalische Sprache war. Er mochte erst gar nicht sagen, dass er daheim in den Tangoclubs Bandoneon spielte und hatte wirklich Angst, dass sie ihn rausschmeißen würde. Schließlich hat er es zugegeben und ihr einen Tango auf dem Bandoneon vorgespielt. Da hat sie gesagt: ‚Das ist dein Weg!‘ So war Nadia. Und so ist der Tango Nuevo entstanden.“

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