15.00 Uhr
Expeditionskonzert mit Joana Mallwitz
Chefdirigent Christoph Eschenbach und das Konzerthausorchester widmen der lebenden Legende Aribert Reimann (*1936) ein Komponistenporträt beim Musikfest Berlin – Dramaturg Andreas Hitscher hat dessen Gedanken zu den programmierten Stücken aufgegriffen.
Aribert Reimanns Musik singt! Klavierlieder waren die ersten Kompositionen des Zehnjährigen; mit achtzehn verdiente er sich das Geld mit Korrepetieren; als Klavierbegleiter großer Sänger trat er auf die Bühnen. Der Mensch würde singen, „um in Schichten seines Bewusstseins vorzudringen, die mit der Ratio allein nicht aufzuschließen sind“, meinte er einmal. Man könnte auch sagen: Gesang öffnet die Seele! Und dieses ans Herz Greifende, ob melancholisch versunken oder expressiv, ist vielleicht das Besondere seiner Musik. Natürlich denkt man da zuerst an seine Opern, seine Gesangszyklen, seine Bearbeitungen von Liedern der Romantik – solcher Robert Schumanns vor allem. Aber auch seine anderen Werke wären ohne die Basis der menschlichen Stimme, ohne diese spezifische Intensität kaum möglich:
Aribert Reimann sieht sich nicht als vordergründig politischen Komponisten, aber er ist – selbstverständlich – Teil der ihn umgebenden Welt: „Alles, was man schreibt, ist eine Antwort auf unsere Zeit, eine Antwort auf die Zustände unserer Zeit.“ Seine Musik weiß um die Gefährdung und die Zerbrechlichkeit, sie kennt das Dunkle und ersehnt das Helle. Er hat den Zweiten Weltkrieg erlebt, der ihm den Bruder nahm. Der Tod, sagt er, war seither immer sein Begleiter, aber auch: „Man kann sich nicht an Trauer festbeißen.“ Wird er in Interviews nach seinen Wünschen gefragt, steht da immer ganz oben der Frieden:
Und ganz konkret fährt er fort: „Ich habe über die Oper ‚Troades‘ als Motto einen Satz der Kassandra gesetzt, den ich nicht vertont habe: ‚Krieg ist Wahnwitz.‘ Es ist jedes Mal ein Wahnwitz, ein Wahnsinn, denn nichts, nichts, nichts wird damit erreicht“.
Aribert Reimanns 85. Geburtstag fiel in die konzertfreie Corona-Zeit. Möge der Abend, den das Konzerthausorchester am 10. September unter der Leitung von Christoph Eschenbach mit seinen Kompositionen bestreitet, eine nachträgliche Gratulation sein – ein Abend, der singt!
„Eingedunkelt“, ein Gesangszyklus nach neun Gedichten von Paul Celan, taucht in rätselhafte, von Erinnerungen und Assoziationen beschwerte Bilderwelten. Die 1993, ein Jahr später, geschriebenen Neun Stücke für Orchester reflektieren eben diese Texte instrumental:
Der „Cantus“ für Klarinette und Orchester, der „Schatten aus etwas Versunkenem“ aufsteigen lässt, trägt den Urgrund Reimannscher Kunst schon im Namen. Und die „Traum Spiralen“ beziehen sich nicht nur auf ein eigenes Lied des Komponisten, sondern setzen den Gesang, den Melos, hoffnungsvoll der Zerstörung entgegen. Aribert Reimann komponierte das Stück 2001 unter dem Eindruck der Bilder des Irak-Krieges. Durch eine grau-schwarze Wand, den Rauch brennender Ölquellen, sah er „unzählige Menschen“, „die sich alle an den Händen halten und einen unisono-Gesang singen. Dieser ist am Schluss in den Bläsern und steigert sich immer mehr. Ich hatte das Gefühl einer Menschengemeinschaft nach diesem schrecklichen Unglück“.