15.00 Uhr
Expeditionskonzert mit Joana Mallwitz
Mélanie Hélène (Mel) Bonis (1858 – 1937)
„Soir“ und „Matin“ für Klaviertrio op. 76
Claude Debussy (1862 – 1918)
Sonate für Violine und Klavier g-Moll
Allegro vivo
Intermède. Fantastique et léger
Finale. Très animé
Lili Boulanger (1893 – 1918)
„D’un soir triste“ und „D’un matin du printemps“ für Klaviertrio
PAUSE
Dmitri Schostakowitsch (1906 – 1975)
Klaviertrio Nr. 2 e-Moll op. 67
Andante – Moderato
Allegro non troppo
Largo
Allegretto – Adagio
Irgendwie sind es alles Werke des Abschieds, die in der heutigen Kammermusik-Matinee des Konzerthausorchesters erklingen. Debussys Violinsonate ist das letzte vollendete Werk des krebskranken Komponisten, und Schostakowitschs Klaviertrio e-Moll aus dem Jahre 1944 ist ein Tombeau ganz besonderer Art, geschrieben im Gedenken an einen verstorbenen Freund und Mitstreiter. Diese beiden Spitzenwerke des Repertoires werden ergänzt durch zwei Werke französischer Komponistinnen, die es verdienen würden, stärker in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt zu werden: Mel Bonis und Lili Boulanger.
Während in Deutschland Frauen eine professionelle Ausbildung als Komponistin weitgehend verwehrt blieb (Emilie Mayer, die dafür zeitlebens „Fräulein“ blieb, ist da eine Ausnahme), konnten sie in Frankreich durchaus das Konservatorium besuchen und – wie die Biographie von Louise Farrenc (1804-1875) zeigte – sogar als Professorin in den Lehrkörper aufgenommen werden. Doch als gleichwertig wurden ihre Werke meist nicht wahrgenommen. Lili Boulanger, die aus einer Musikerfamilie stammte, in der ihr außergewöhnliches Talent sofort wahrgenommen und gefördert wurde, errang zwar als erste Frau den begehrten Rom-Preis, doch wollte der damalige Direktor der Villa Medici in Rom ihre außergewöhnliche Begabung nicht wahrhaben. Der Ausbruch des 1. Weltkriegs und die damit verbundene erzwungene eilige Heimkehr beendete dann die für alle Beteiligten unleidliche Situation.
Auch Mélanie Hélène Bonis hatte unter der Verständnislosigkeit ihrer Mitwelt und der Fixierung auf ein traditionelles Rollenbild zu leiden. Zwar konnte sie ein Studium am Pariser Konservatorium beginnen, doch sahen sich die strengen Eltern zum Abbruch der Ausbildung zugunsten einer Vernunftehe veranlasst. Hier traten ihre künstlerischen Ambitionen hinter ihre Pflichten als Hausfrau und Mutter zurück.
Mel Bonis komponierte die beiden Charakterstücke für Klaviertrio „Soir“ (Abend) und „Matin“ (Morgen) im Jahre 1907. Während der Abend durch lange Melodiebögen und einfache Harmonik geprägt ist, erzeugen flirrende Harmonien und fragmentierende Melodieführung eine Aufbruchsstimmung, wie man sie sich für jeden Morgen wünschen möchte!
Leben und Werk von Lili Boulanger sind überschattet durch ihren frühen Tod – im Alter von nur 24 Jahren. 1893 in Paris geboren, erhielt sie bereits in der Familie frühen Musikunterricht, und ihre sechs Jahre ältere Schwester Nadia wurde ihre erste Kompositionslehrerin. Am Pariser Konservatorium besuchte sie dann die Kompositionsklasse von Paul Vidal. Ihre letzten Lebensjahre waren von einer heimtückischen Krankheit – Darmtuberkulose – geprägt, und es gelang ihr, in fieberhafter Eile Meisterwerke wie die beiden chorsinfonischen Vertonungen der Psalmen 128 und 130 fertigzustellen, eine Opernpartitur („La Princesse Malaine“) blieb dagegen Fragment.
„D’un Soir triste“ (An einem traurigen Abend) und „D’un Matin du Printemps“ (An einem Frühlingsmorgen) sind zwei Charakterstücke, die sich komplementär ergänzen: Das jeweils gleiche thematische Ausgangsmaterial wird auf völlig unterschiedliche Weise geformt – als eine Musik voller Licht und Schatten, Scherz und Schmerz.
Debussys letzte Werke sind drei Sonaten in jeweils unterschiedlicher kammermusikalischer Besetzung, die den Komponisten in den Jahren 1915-17 beschäftigten: eine Sonate für Violoncello und Klavier d-Moll, eine Triosonate für die aparte Besetzung von Flöte, Viola und Harfe und schließlich eine Sonate für Violine und Klavier g-Moll, die sein letztes vollendetes Werk werden sollte. Bei der Uraufführung des Werkes durch den Geiger Gaston Poulet am 5.5.1917 in Paris übernahm der schon von Krankheit gezeichnete Komponist den Klavierpart.
Debussy selbst hatte an seinen Verleger geschrieben: „Diese Sonate wird aus dokumentarischen Gründen interessant sein und als ein Beispiel dafür, was ein kranker Mann während eines Krieges schreiben kann.“
Es gibt in der russischen Kammermusik des 19. und 20. Jahrhunderts die Tradition, berühmte verstorbene Kollegen mit einem großen Klaviertrio zu ehren. Pjotr Tschaikowsky widmete sein Klaviertrio a-Moll op. 50 dem 1881 verstorbenen Nikolai Rubinstein, zwölf Jahre später wird Sergej Rachmaninow dem dahingegangenen Tschaikowsky gleichfalls ein Klaviertrio widmen. Doch alle diese Werke werden überragt durch Dmitri Schostakowitschs 2. Klaviertrio aus dem Jahr 1944.
Der Musikwissenschaftler Iwan Sollertinski war nicht nur ein wichtiger fachlicher Ratgeber Schostakowitschs, sondern auch ein Freund, dem der seit der Kampagne „Chaos statt Musik“ 1936 im Schussfeld der Kulturpolitik stehende Komponist bedingungslos vertrauen konnte. Umso schwerer musste ihn Sollertinskis überraschender Tod am 11.2.1944 treffen. Im Kondolenzbrief an Sollertinskis Witwe, geschrieben vier Tage nach dem Tod des Freundes, fand Schostakowitsch Worte der Trauer und des Mitgefühls: „Iwan Iwanowitsch und ich haben über alles gesprochen. Auch über das Unausweichliche, das uns am Ende des Lebens erwartet, d. h. über den Tod. Wir beide hatten Angst vor ihm und wollten ihn nicht. ... Wir gaben uns immer wieder das feierliche Versprechen, im Falle des Todes eines von uns beiden, dessen hinterbliebene Angehörige mit alle nur möglichen Mitteln zu unterstützen.“ Wir wissen, dass Schostakowitsch sein Versprechen gehalten hatte ...
Schostakowitschs Trio ist ein Werk der klanglichen und emotionalen Extreme – beginnend mit dem Flageolett des Violoncellos (im Stimmentausch mit der in tiefer Lage geführten Violine) über Wut und Verzweiflung des Scherzos bis hin zur Trauermusik der Passacaglia und zu dem geläuterten Schmerz des Finales, für den der Komponist einmal mehr die Intonationen aus der jüdischen Folklore heranzog, die dieses Lächeln unter Tränen so herzzerreißend zum Ausdruck bringen kann.
Avigail Bushakevitz wurde in Israel geboren und ist in Südafrika aufgewachsen. Sie studierte an der New Yorker Julliard School bei Sylvia Rosenberg, anschließend in Tel Aviv sowie schließlich in Berlin bei Ulf Wallin an der Hochschule für Musik Hanns Eisler. Seit 2014 ist sie Mitglied im Konzerthausorchester Berlin. Am Konzerthaus spielt sie außerdem im Franz Trio und im Konzerthaus Kammerorchester. Sie gewann Violinwettbewerbe in Israel, Spanien und Südafrika und tritt als Solistin regelmäßig mit allen großen Sinfonieorchestern Südafrikas auf. Als Kammermusikerin konzertiert sie unter anderem in Duoprogrammen mit ihrem Bruder, dem Pianisten Ammiel Bushakevitz.
Constance Ricard wurde 1985 in Paris geboren und studierte Cello in Bordeaux am Conservatoire National de Région bei Etienne Péclard und Kammermusik bei Jean-Paul Minali-Bella, am Conservatoire Supérieur de Paris in der Celloklasse von Marc Coppey sowie an der Hochschule für Musik und Theater in Leipzig bei Peter Bruns. Sie war Solo-Cellistin des Internationalen Orchesterinstituts Attergau, Österreich, spielte an der Semperoper Dresden und beim Luzern Festival sowie ein paar Monate im Niedersächsischen Orchester der Staatsoper Hannover. 2011 wurde sie in die Akademie des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin aufgenommen. Sie hat in Frankreich und Deutschland in verschiedenen Kammermusik-Ensembles gespielt und gründete 2009 während ihres Studiums in Leipzig das Calaf Trio. Außerdem ist sie Mitglied im Franz Trio.
Zhora Sargsyan wurde 1994 in Jerewan (Armenien) geboren. Musikalische Ausbildung an der Musikschule und der Musikhochschule seiner Heimatstadt. Seit 2014 Studienfortsetzung an der Universität der Künste Berlin, unter anderem in der Klavierklasse von Klaus Hellwig. Mehrfacher Preisträger nationaler und internationaler Wettbewerbe. Umfangreiche Konzerttätigkeit als Solist und Kammermusikpartner im In- und Ausland (Europa, Türkei, Südkorea, Kanada). Einladung zu internationalen Musikfestivals wie Young Euro Classics, Salzburger Schlosskonzerte, Bachtage Potsdam oder „Amici di Paganini“ Genua. Zusammenarbeit mit Orchestern und Dirigenten in Armenien, Deutschland und Frankreich.