20.00 Uhr
Konzertchor Schlachtensee
Konzerthausorchester Berlin
Juraj Valčuha Dirigent
Nikolai Lugansky Klavier
Programm
Sergej Rachmaninow (1873 – 1943)
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3 in d-Moll op. 30
Allegro ma non tanto
Intermezzo: Adagio
Finale: Alla breve
Pause
Alexander Zemlinsky (1871 – 1942)
„Die Seejungfrau“ – Fantasie für Orchester
Sehr mäßig bewegt
Sehr bewegt, rauschend
Sehr gedehnt, mit schmerzvollem Ausdruck
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden einige bedeutende Kompositionen, die wahre Tonfluten aufbieten – eine ungeheure Masse von Klingendem, ein Meer von Tönen, in dem der Zuhörer fast zu ertrinken droht, das aber auch eine ungeheure Faszination ausübt.
Sergej Rachmaninows Drittes Klavierkonzert steht in dem Ruf, im Solopart die größte Dichte an Tönen im Vergleich zu allen anderen ähnlichen Werken zu besitzen. Der Pianist leistet hier wirkliche Schwerstarbeit, und noch heute gilt es als eine außergewöhnliche Leistung, das Stück zu bewältigen. Das Orchester klingt nicht weniger üppig; umso mehr berühren den Hörer einzelne Stellen, an denen sich der Komponist zurücknimmt und unversehens ganz einfache, fast volksliedartige Melodien bringt.
Alexander von Zemlinskys Tondichtung „Die Seejungfrau“ führt uns in das wirkliche Meer, das von der Musik virtuos und eindrücklich geschildert wird. Im Vordergrund steht allerdings die tragische Geschichte von der Seejungfrau, die sich danach sehnt, ein Mensch zu werden, um den von ihr geliebten Prinzen heiraten zu können. Zemlinskys brillanter Orchestersatz hüllt das Geschehen in ein berückendes Klanggewand.
Sergej Rachmaninows Drittes Klavierkonzert
Von Mozart ist die Anekdote überliefert, dass der Kaiser Joseph II. bei einer Audienz im Hinblick auf die „Entführung aus dem Serail“ äußerte: „Gewaltig viele Noten, lieber Mozart!“ Der Komponist habe daraufhin gesagt: „Gerade so viel Noten, Majestät, als nötig sind.“ An Notenfülle übertrifft Rachmaninows Drittes Klavierkonzert sicherlich jedes beliebige Werk Mozarts, doch auch hier kann man sagen, dass die Partitur kaum etwas Überflüssiges enthält. Allerdings hat Rachmaninow sie nach den ersten Aufführungen etwas gekürzt, sodass die jetzige, sehr schlüssig wirkende Version nicht die ursprüngliche war. Und noch immer ist das Stück für ein Klavierkonzert sehr lang. Konkurrenz macht ihm in dieser Hinsicht unter den oft gespielten Werken nur das Zweite Klavierkonzert von Johannes Brahms, das aber vier Sätze aufweist. Rachmaninow begnügt sich mit den üblichen drei.
Der erste Satz beginnt nach einer kurzen Orchestereinleitung mit einer vom Klavier vorgetragenen unvergesslichen Melodie. Man hat in ihr die Erinnerung an ein Volkslied sehen wollen, was Rachmaninow aber energisch abgestritten hat. Ihm zufolge hat sich diese Melodie „von selbst komponiert“, und in der Tat klingt sie so natürlich und überzeugend, als sei sie schon immer dagewesen. Die Einfachheit dieser Tonfolge stellt sich aber bald als trügerisch heraus. Es entwickelt sich ein großer Satz in Sonatenform, dem es weder an Kontrasten noch an Dramatik fehlt. Rachmaninow hat für den Satz zwei Kadenzen geschrieben, von denen die erste ausgesprochen grandios ist, die zweite dagegen schneller und kürzer.
Gewöhnlicherweise ist ein Intermezzo – wörtlich ein „Zwischenspiel“ – ein eher leichtgewichtiges Stück von überschaubarer Länge. Bekannt geworden ist der Titel durch Robert Schumann und Johannes Brahms, dessen späte Klavier-Intermezzi allerdings zum Teil recht anspruchsvoll sind. Das Intermezzo von Rachmaninows Drittem Klavierkonzert übertrifft fast alle anderen Intermezzi an Ausdehnung und Gewicht. Es hat das ganze Pathos eines sinfonischen langsamen Satzes. Zudem ist gegen Ende noch eine schnelle Scherzo-Episode eingearbeitet. Ansonsten ist die Stimmung über weite Strecken eher melancholisch und entspricht den Vorstellungen, die man von russischer Schwermut hegen mag.
Der Schlusssatz des Dritten Klavierkonzerts bildet eine wirkliche Bekrönung. Er entfaltet sich in großangelegter Steigerung und bietet noch einmal ungeheure pianistische Virtuosität auf. Zudem wird der Zug ins Sinfonische, der das gesamte Werk auszeichnet, nachdrücklich bekräftigt. Die Musik mündet am Schluss in eine wahre Siegeshymne.
Zur Uraufführung in New York reiste Rachmaninow extra über den Atlantik. Um sich vorzubereiten, übte er während der Überfahrt auf einer stummen Klaviatur. Die erste Aufführung dirigierte Walter Damrosch, bei der zweiten stand Gustav Mahler am Pult. Mahler widmete sich dem Werk mit der bei ihm selbstverständlichen Sorgfalt. Jedes Detail wurde ausführlich geprobt. Die Kritik war sich zunächst uneinig über den Wert des Stückes. Einige fanden es zu lang, andere lobten es als „eines der interessantesten Klavierkonzerte der letzten Jahre“. Zunächst wurde das Konzert wegen seiner großen technischen Schwierigkeiten nur von wenigen Pianisten gespielt, heute allerdings ist es fester Bestandteil der Repertoires. Es wird oft als Rachmaninows gelungenste Komposition überhaupt angesehen. Jede Begegnung mit ihm offenbart neue Facetten dieses unerschöpflichen Werks.
Alexander Zemlinskys Sinfonische Fantasie „Die Seejungfrau“
Hans Christian Andersen schrieb sein Kunstmärchen „Die kleine Meerjungfrau“ im Jahre 1837. Wie fast alle Märchen des Dichters ist es mehr für Erwachsene als für Kinder geschrieben. Die komplexe Erzählung von Fremdheit, Liebe, Aufopferung und Verzweiflung beruht wahrscheinlich auf dem persönlichen Erleben Andersens, näherhin auf einer aussichtslosen Liebesgeschichte. Wie so oft in der Literatur- und Kunstgeschichte stand am Anfang eines großen Werks ein großer Schmerz. Die künstlerische Perfektion des Märchens kann auch als Flucht vor der nicht zu bewältigenden Realität verstanden werden. Das Fantasiegeschöpf der kleinen Meerjungfrau erweist sich aber letztendlich als lebendiger als die gewöhnlichen Menschengestalten. Die Statue im Kopenhagener Hafen hat es zu weltweiter Berühmtheit gebracht.
Die kleine Meerjungfrau ist die jüngste und anmutigste der sechs Töchter des Meerkönigs. Sie hat keine Füße, sondern einen Fischschwanz. Sie ist von der Sehnsucht nach der Menschenwelt erfasst. Mit fünfzehn Jahren darf sie zusammen mit ihren Schwestern aus dem Meer steigen und nachts am Strand liegen. Sie beobachtet die Matrosen auf einem Schiff – besonders gut gefällt ihr aber der Prinz mit den dunklen Augen, der gerade seinen sechzehnten Geburtstag feiert. Als das Schiff wegen eines Sturms sinkt, rettet sie den Prinzen und bringt ihn an den Strand.
Sie beobachtet, wie ein Mädchen ihn findet, und ist traurig, dass sie sich anlächeln – der Prinz weiß ja nicht, wer ihn gerettet hat. Die Meerjungfrau findet heraus, wo das Schloss steht. Sie erfährt, dass die Meermenschen im Gegensatz zu den normalen Menschen keine Seele besitzen, die nach ihrem Tod in die Luft aufsteigt – die einzige Möglichkeit, eine Seele zu erlangen, ist, von einem Menschen geliebt zu werden. So begibt sie sich zur Meerhexe und lässt sich einen Trunk brauen, der ihr Beine wachsen lässt statt ihres Fischschwanzes. Die Verwandlung ist jedoch unumkehrbar – sie wird nie wieder zu ihrem Vater und ihren Schwestern zurückkehren können. Falls sich der Prinz nicht in sie verliebt, bekommt sie keine unsterbliche Seele und wird zu Schaum auf dem Meere werden. Außerdem muss sie ihre Stimme hergeben. Stumm trifft sie den Prinzen und wird von ihm in sein Schloss geführt.
Dort bleibt sie bei ihm, aber der Prinz liebt nur das unbekannte Mädchen, das er am Strand sah und für seine Retterin hält. Später stellt sich heraus, dass dieses Mädchen die Prinzessin des Nachbarkönigreichs ist, und der Prinz heiratet sie. Da der erste Sonnenstrahl nach seiner Hochzeitsnacht der kleinen Meerjungfrau den Tod bringen soll, geben ihre Schwestern ihr den Rat, den Prinzen zu töten: Das würde sie wieder in ein Meerwesen verwandeln und sie retten. Sie bringt es aber nicht fertig, springt ins Wasser und löst sich in Schaum auf. Dabei stirbt sie jedoch nicht, sondern verwandelt sich in einen Luftgeist. Damit hat sie die Möglichkeit, durch gute Handlungen eine unsterbliche Seele zu erlangen und so an dem Glück der Menschen teilzuhaben.
Die Musik von Zemlinskys sinfonischer Dichtung folgt in großen Zügen der Handlung. Der Komponist hat sein Werk in drei Sätze aufgeteilt. Der erste schildert die Welt des Meeresgrundes. Das Thema der kleinen Meerjungfrau wird von der Solo-Violine gespielt. Im zweiten Satz hört man den Sturm, der das Schiff des Prinzen zum Kentern bringt, und dessen Errettung. Der dritte Satz hat die Sehnsucht der Meerjungfrau zum Inhalt, die Episode der Vermählung des Prinzen sowie die Verwandlung der Meerjungfrau in einen Luftgeist. Zemlinsky hat seine Partitur mit der ganzen Raffinesse des spätromantischen Orchestersatzes ausgestattet. Die Erfahrungen, die er als Dirigent gemacht hatte, kamen ihm dabei sehr zugute. Die Behandlung jedes einzelnen Instruments ist souverän, auch die Klangmischungen sind stets hervorragend ausgehört.
Es heißt, dass Arnold Schönberg und sein Schwager Zemlinsky von Richard Strauss‘ Orchesterwerk „Ein Heldenleben“ wenig angetan waren. Beide beschlossen, es besser zu machen. Daraufhin schuf Schönberg seine sinfonische Dichtung „Pelleas und Melisande“, Zemlinsky „Die Seejungfrau“. Die Uraufführung der Werke geschah im selben Konzert am 25. Januar 1905. Dabei erregte Schönbergs Komposition das größere Aufsehen. Der enttäuschte Zemlinsky ließ daraufhin sein Werk in der Schublade verschwinden. Den ersten Satz übergab er später Marie Pappenheim, der Librettistin von Schönbergs Oper „Erwartung“. Die beiden anderen Sätze nahm er bei seiner Flucht vor den Nationalsozialisten 1938 mit nach Amerika. Erst Anfang der 1980er Jahre wurde „Die Seejungfrau“ wieder aufgeführt, nachdem erkannt worden war, dass die Sätze zusammengehörten. Zuvor hatte Zemlinskys Witwe Louise den amerikanischen Teil der Partitur als zu einer Sinfonie in Es-Dur gehörig bezeichnet.
Ebenso wie eine unglückliche Liebesgeschichte den Anlass der Entstehung von Andersens Märchen bot, beruht wahrscheinlich auch Zemlinskys Werk auf einem enttäuschend verlaufenen Erlebnis dieser Art. Zemlinsky hatte sich im Frühjahr 1901 in seine Schülerin Alma Schindler verliebt. Im November desselben Jahres brach Alma aber die Verbindung ab: Sie hatte sich Gustav Mahler zugewandt, den sie im März 1902 heiratete. Im Februar desselben Jahres hatte Zemlinsky mit der Komposition der „Seejungfrau“ begonnen, die er gut ein Jahr später vollendete.
Zemlinsky; Porträt von Arnold Schönberg
Das Konzerthausorchester Berlin spielt seit der Saison 2023/24 unter Leitung von Chefdirigentin Joana Mallwitz. Sie folgt damit Christoph Eschenbach, der diese Position ab 2019 vier Spielzeiten innehatte. Als Ehrendirigent ist Iván Fischer, Chefdirigent von 2012 bis 2018, dem Orchester weiterhin sehr verbunden.
1952 als Berliner Sinfonie-Orchester (BSO) gegründet, erfuhr das heutige Konzerthausorchester Berlin von 1960 bis 1977 unter Chefdirigent Kurt Sanderling seine entscheidende Profilierung und internationale Anerkennung. Seine eigene Spielstätte erhielt es 1984 mit Wiedereröffnung des restaurierten Schauspielhauses am Gendarmenmarkt. Zehn Jahre später wurde das BSO offizielles Hausorchester am nun umgetauften Konzerthaus Berlin und trägt seit 2006 dazu passend seinen heutigen Namen. Dort spielt es pro Saison mehr als 100 Konzerte. Außerdem ist es regelmäßig auf Tourneen und Festivals im In- und Ausland zu erleben. An der 2010 gegründeten Kurt-Sanderling-Akademie bilden die Musiker*innen hochbegabten Orchesternachwuchs aus.
Einem breiten Publikum auf höchstem Niveau gespielte Musik nah zu bringen, ist dem Konzerthausorchester wesentliches Anliegen. Dafür engagieren sich die Musiker*innen etwa bei „Mittendrin“, wobei das Publikum im Konzert direkt neben Orchestermitgliedern sitzt, als Mitwirkende in Clipserien im Web wie dem mehrfach preisgekrönten #klangberlins oder in den Streams „Spielzeit“ auf der Webplattform „twitch“. Die Verbundenheit mit Berlin zeigt sich im vielfältigen pädagogischen und sozialen Engagement des Orchesters mit diversen Partnern in der Stadt.
Juraj Valčuha genießt international hohes Ansehen für seine große Ausdruckskraft und profunde Musikalität. Im Juni 2022 übernahm er die Position des Music Director beim Houston Symphony. Von 2016 bis 2022 war er Music Director des Teatro San Carlo Neapel und von 2009 bis 2016 Chefdirigent des Orchestra Nazionale della RAI. Bis 2023 war er Erster Gastdirigent des Konzerthausorchesters Berlin.
Er studierte Dirigieren und Komposition in Bratislava, bei Ilya Musin in St. Petersburg und in Paris, wo er 2005 beim Orchestre National de France debütierte. Rasch folgten Einladungen zu den großen Orchestern in ganz Europa. Engagements in Nordamerika führten ihn zum Pittsburgh, Boston, Chicago, Cleveland, Cincinnati und San Francisco Symphony Orchestra, zum Los Angeles Philharmonic sowie zum New York Philharmonic.
Zu den künstlerischen Höhepunkten der letzten Jahre gehörten Tourneen mit dem Orchestra Sinfonica Nazionale della RAI nach München, Köln, Zürich, zum Musikverein Wien, der Berliner Philharmonie, dem Enescu Festival Bukarest sowie zu den Abu Dhabi Classics. Mit dem Konzerthausorchester Berlin besuchte er die Baltischen Hauptstädte.
In den letzten Monaten hat er „Fanciulla del West“ und „Tristan und Isolde“ an der Bayerischen Staatsoper und an der Deutschen Oper Berlin dirigiert. Es folgten Konzerte mit dem Orchestre National de France, Konzerthausorchester Berlin, Chicago, Houston, Pittsburgh und San Francisco Symphony Orchestern.
In der Spielzeit 2024/25 dirigiert er „Salomé“ an der Semperoper Dresden, „Das schlaue Füchslein“ an der Pariser Opera Bastille, „Pique Dame“ an der Deutschen Oper Berlin. Er steht am Pult des London Philharmonic Orchestra, Swedisch Radio Orchestra, San Francisco und Pittsburgh Symphony und Münchner Philharmonikern.
Nikolai Lugansky arbeitet regelmäßig mit Dirigenten wie Kent Nagano, Juri Temirkanow, Manfred Honeck, Gianandrea Noseda, Stanislaw Kotschanowski, Wassili Petrenko und Lahav Shani zusammen und wird von führenden internationalen Orchestern und zu einigen der renommiertesten Festivals der Welt eingeladen, darunter das Aspen Festival, das Tanglewood Festival, das Ravinia Festival und das Verbier Festival. Zu seinen Kammermusikpartnern zählen Vadim Repin, Alexander Kniazev, Mischa Maisky und Leonidas Kavakos. 2023 feierte er Rachmaninows 150. Geburtstag mit Zyklen monografischer Programme im Théâtre des Champs-Élysées in Paris und in der Wigmore Hall in London. Darüber hinaus gab er weitere Auftritte in ganz Europa, darunter im Konzerthaus Wien und Berlin, im Bozar in Brüssel, im Rudolfinum in Prag und im Royal Concertgebouw in Amsterdam. In der Saison 2024/25 wurde er vom NHK Symphony Orchestra in Tokio, der NDR Radiophilharmonie Hannover, den Brüsseler Philharmonikern, dem Orchestre Philharmonique de Radio France und der Philharmonia London eingeladen. Er wird seine Wagner-Transkriptionen weiterhin in Konzerten aufführen, unter anderem im Teatro alla Scala, im Théâtre des Champs-Élysées, im Wiener Konzerthaus, in der Wigmore Hall, in der Tonhalle Zürich, im Piano à Lyon und im Gulbenkian. Außerdem kehrt er nach Korea (mit einer Konzerttournee in Ulsan, Daegu und Seoul), nach Südamerika (Bogotà) und in die USA (mit einer Konzerttournee in verschiedenen Städten, darunter Aspen, Washington und Kansas City) zurück.
Lugansky ist Exklusivkünstler von Harmonia Mundi. Für seine Aufnahmen erhielt er unter anderem den Diapason d'Or und den Premio Abbiati del Disco 2024 für Solorepertoire, den Choc de l'Année 2023 (Classica) und den Gramophone Editor's Choice (März 2023).