16.00 Uhr
Festveranstaltung Orden Pour le mérite für Wissenschaften und Künste
Fragen an unseren neuen Intendanten
Um die Jahrtausendwende habe ich als freischaffender Musiker mit meiner Familie bereits einige Jahre in Berlin gelebt und an zahlreichen Orten gespielt, unter anderem auch im Konzerthaus. Als Metropole voller Geschichte, voller Brüche und voller Menschen unterschiedlichster Hintergründe erzählt Berlin viel darüber, wo wir herkommen, wohin es gehen könnte oder auch, wo wir mit Widerständen umgehen müssen. Ihre internationale Vielfalt und ihr kreativer Puls haben mich an dieser Stadt schon immer fasziniert.
Ich bin mit Musik aufgewachsen, sie war fast etwas Selbstverständliches. Trotzdem habe ich viel über sie nachgedacht – als Geiger, bei der Gründung des Ensemble Resonanz und als Musikmanager auf Suche nach neuen Konzertformen. Sie ist unverzichtbarer Bestandteil meines Lebens, meiner Orientierung, meines Suchens und Wissens in der Welt. Kunst entspringt für mich auch immer dem Versuch, das große Rätsel des Universums zu befragen: Was bedeutet es, in dieser Welt ein Mensch zu sein? Dem kann man sich sicher auf viele Weisen nähern, etwa aus wissenschaftlicher oder religiöser Perspektive. Für mich bietet die Musik eine Möglichkeit, hinter solchen Fragen etwas zu spüren. Und wunderbarerweise ist sie stets offen und auf so vielen Ebenen erlebbar: Mit dem Herzen, dem Kopf oder dem Körper. Sie schillert immer, zwischen Emotionen und Unterhaltung, zwischen Inspiration und Spaß. Das möchte ich teilen und zugänglich machen.
Unsere Gesellschaft verändert sich. Wenn wir ein Konzerthaus für alle Berlinerinnen und Berliner sein wollen, müssen wir an dieser Veränderung teilhaben. Natürlich ist europäische klassische Musik der Kern unseres Schaffens am Konzerthaus, aber darüber hinaus wollen wir offen sein und neugierig auf Musik, die diesen Horizont erweitert und in Berlin längst zu Hause ist. Es ist ein Vorurteil, klassische Musik sei nur etwas für einen relativ kleinen Zirkel. Meiner Erfahrung nach ist das der Musik nicht eingeschrieben. Es sind oft kulturelle Praktiken, das Drumherum, die den Zugang erschweren. Ich bin überzeugt: Wenn wir manche Barrieren überwinden, steht da eine Kunst, die jeden Menschen voraussetzungslos erreichen und mitten ins Herz treffen kann.
Sicher. Aber ich denke, die meisten Erlebnisse, die uns im Innersten bewegen, sind nicht eindimensional. Oft ist gerade das, was uns besonders bereichert, mit Intensität verbunden. Klassische Musik erscheint vielleicht manchmal komplexer und ambivalenter als manche andere Musik. Aber dadurch bleiben wir im besten Fall gespannt und hellwach. Und jede und jeder, egal ob wissend oder entdeckend, ist willkommen, eine Meinung zum Gehörten zu artikulieren und Fragen zu stellen.
Wir haben zum Beispiel „Herz über Kopf“, ein neues Salonformat, ins Programm genommen, in dem aus Fanperspektive über Musik gesprochen wird. Gastgeber der Spielzeit 2025/26 ist der Schauspieler Charly Hübner. Er hat gute Ohren und einen klugen Kopf und wird unser Experte sein für überraschende Zugänge und Horizont erweiternde Assoziationen. Eine weitere neue Reihe, ‚Berlin Tracks‘, folgt variantenreichen Spuren des Berliner Musiklebens in den Grenzbereichen der Kunstmusik und präsentiert Künstler*innen, die sich mit einem ganz eigenen Weg in der Stadt ihre Bühne erspielt haben.
Der erste Höhepunkt ist für mich gleich die Saisoneröffnung mit Joana Mallwitz, dem Konzerthausorchester und Alice Sara Ott als Solistin des Klavierkonzerts von Bryce Dessner. Das Konzert wird auch in die Freiluftkinos Friedrichshain und Rehberge übertragen und erreicht so nochmal zusätzlich viele Menschen in den Stadtteilen. Im November widmen wir ein Festival Lili und Nadia Boulanger, diesen großartigen Komponistinnen-Schwestern des 20. Jahrhunderts, die eine viel größere Aufmerksamkeit verdienen, als sie bisher bekommen. An drei Wochenenden im Februar präsentieren wir dann das Festival ‚Vom Anfangen‘. Es geht um den Anfang als Moment der tausend Möglichkeiten, den nötigen Mut, das Zweifeln und Verzweifeln, das Prokrastinieren und das Fragment. Und am Schluss die größte Anfangsgeschichte, mit Joseph Haydns Schöpfung. Vor allem aber freue ich mich außerordentlich auf die Zusammenarbeit mit dem Konzerthausorchester und mit Joana Mallwitz. Neben Joanas unbedingtem künstlerischen Exzellenzanspruch begeistert mich, dass sie im Nachdenken über Musik auch immer ein Verhältnis zum Publikum und zur Welt sucht.