Wenn man erst mal anfängt, ihnen zuzuhören

von Konzerthaus Berlin 14. November 2022

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© Jan Rasmus Voss: Marvin Holley, Musiker

„Aus den Fugen“ ist für mich auch etwas Positives – um zu erkennen, dass es anders geht. ... Es war und ist eine Zeit, in der man viel nachdenken kann und muss. ... Mut bekomme ich durch andere, durch Begegnungen, durch Kommunikation, durch Verbindung.“– Marvin Holley, Musiker

Musiker und Projektentwickler Kian Jazdi bringt in seinen Projekten Menschen verschiedenen Alters und Genders, von unterschiedlichem künstlerischen und kulturellem Hintergrund zusammen. Für uns hat er eines der beiden Partizipationsprojekte „Einwurf für...“ im Rahmen von „Aus den Fugen“ umgesetzt. Dabei kommen Berliner*innen zu Wort, die selten zu hören sind. Wir haben ihn gefragt, wie es war, ihre Stimmen für eine Soundinstallation zu sammeln.

Wärend des gesamten Festivals vom 14. bis 27. November ist Kian Jazdis Soundinstallation in der Kutschendurchfahrt begehbar. Die Porträts der Beteiligten von Fotograf Jan Rasmus Voss sind in den Seitenfoyers ausgestellt.

Zu den Audio-Aufnahmen

Was hat Dich gereizt, an „Einwurf für…“ mitzuarbeiten?

Mein eigenes Anliegen ist, den Klassikbetrieb zu öffnen. Und zwar nicht nur in eine Richtung. Das trifft sich mit dem Anliegen von „Einwurf für...“. Außerdem möchte ich ansprechende Formate für viele Menschen gestalten.

Wie hast Du die Gesprächspartner*innen gefunden, die in der Soundinstallation zu hören sind?

Frühere Projekte in der Stadt haben mich an Orte in Berlin gebracht, an die man nur kommt, wenn man dort wohnt. In einen anderen Alltag als unseren. Dort bin ich die Straßen entlanggegangen, ohne auf der Suche nach bestimmten Zielgruppen zu sein.

Wie hast Du Vertrauen aufgebaut?

Ich spreche erstmal ohne Kamera und Mikrofon mit ihnen und erzähle, dass wir ein ehrliches Anliegen ohne Voyeurismus haben: „Wir hätten gern deine Stimme für ein Stimmungsbild. Und Du hast selbstverständlich immer ein Vetorecht, was wir in das Projekt aufnehmen.“ Also welche Aussagen, ob anonym, ob mit Foto. Auf jeden Fall war es gut, den Fotografen Jan Rasmus Voss immer dabeizuhaben. Als Typen haben wir uns ergänzt. Bei einigen, die wir gefragt haben, war am Anfang durchaus Skepsis spürbar. Aber wenn man mal anfängt, ihnen zuzuhören, haben viele gar nicht mehr aufgehört zu reden. Und wir bekamen nicht nur Erzählungen von Frust und Not zu hören –  da war auch viel Positives, starke Menschen, die sich ihrem Alltag gewachsen fühlen.

Welche Themen standen im Vordergrund?

Die Pandemie hat eine wichtige Rolle gespielt, aber auch die Situation in der Ukraine, im Iran und die politische Lage in Deutschland. Wir waren im Südwesten von Berlin in einer Kneipe, da war ein Stammtisch von um die Sechzigjährigen. Die waren zum Beispiel mit ganz vielem unzufrieden: „Ich fühle mich einfach nur noch verarscht.“

„Ich arbeite hier, meine Frau arbeitet hier. Dann gehen wir nach Hause, essen, machen zusammen Hausaufgaben. Wenn die fertig sind, haben wir keine Zeit mehr, zusammenzusitzen. Das hat uns sehr gedrückt. Mein Größter hat die erste Klasse mit Corona angefangen. … Was kann ich ihm zeigen? Ich bin kein Lehrer.“ – Sonay D., Kioskbesitzer

Was waren besonders intensive Momente?

Dazu gehört auf jeden Fall die Begegnung mit einer nonbinären Person, die sich selbständig gemacht hat. Sie sprach über Diskriminierung – in diesem Moment kommt ein Typ vorbei und rotzt vor ihr auf den Boden. Jan und ich waren entsetzt, aber sie sagte bloß: „Das passiert jeden Tag. I am who I am and I am not going to change this.“ Auch eine aus dem Iran stammende Sozialarbeiterin hat mich sehr berührt. Sie macht sich solche Sorgen um die Zukunft, sprach voller Herzenswärme über die junge Generation: „Warum wehren sich die Jugendlichen nicht mehr dagegen, dass ihnen Chancen genommen werden?“ Und es gab ein Gespräch mit einer Intensivpflegerin, das uns wirklich nah ging. Da war sehr viel Schmerz.

Ich musste viel leisten, um Anerkennung zu bekommen. Das war immer auch eine große Belastung für mich... In Berlin bist Du eine von allen. Deswegen liebe ich das Leben in Berlin. – Nasi Alimardani, Sozialpädagogin

Wie trägt Deine Soundinstallation „Einwurf für…“ dazu bei, diese ungehörten Stimmen laut werden zu lassen?

Die Soundinstallation ist eine subjektive Momentaufnahme, die etwas zum Vorschein bringt. Prägnante Sätze kommen von unterschiedlichen Seiten an die Oberfläche, gesprochen von grundverschiedenen Menschen. Nicht nacheinander, sondern sich überlagernd. Ganz wie in der Welt. Die Soundinstallation lässt das unkommentiert nebeneinander stehen. Wer ins Konzerthaus geht, hat die Möglichkeit, eigene Schlüsse daraus zu ziehen. Letztlich geht es darum, Menschen als Gegenüber ernst zu nehmen und ihnen zuzuhören. Daran kann der Kulturbetrieb elementaren Anteil haben: Schließlich kommt man in ein Konzerthaus, um zuzuhören!

Gefördert durch die Commerzbank-Stiftung.

Fotos: Jan Rasmus Voss

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