20.00 Uhr
Erinys Quartet
AUGUSTIN HADELICH Violine
MARIE-ELISABETH HECKER Violoncello
MARTIN HELMCHEN Klavier
Programm
Joseph Haydn (1732 – 1809)
Klaviertrio G-Dur Hob XV:25 (1795)
Andante
Poco adagio. Cantabile
Rondo all’Ongarese. Presto
Zoltán Kodály (1882 – 1967)
Duo für Violine und Violoncello op. 7 (1914)
Allegro serioso, non troppo
Adagio – Andante
Maestoso e largemente – Presto
PAUSE
György Kurtág (*1926)
„Varga Bálint Ligaturája“ für Violine, Violoncello und Pianino (Deutsche EA, 2007)
Robert Schumann (1810 – 1856)
Klaviertrio d-Moll op. 63 (1847)
Mit Energie und Leidenschaft
Lebhaft, doch nicht zu rasch
Langsam, mit inniger Empfindung
Mit Feuer
Im Zentrum dieses Programms, das der Geiger Augustin Hadelich mit seinen Freund*innen Marie-Elisabeth Hecker und Martin Helmchen zusammen gestaltet, steht an diesem Abend mit Ungarn ein Land – und das, was über Jahrhunderte musikalisch mit ihm assoziiert wurde. Einerseits umfasst diese Assoziation die volksmusikalische Tradition der Menschen auf dem Land – und andererseits den unverkennbaren Stil der Rom*nja, die dort zum Teil lebten. Dieser Stil jedoch ist durch viele Traditionen beeinflusst und nicht per se „ungarisch“ – auch wenn beides von Kulturschaffenden und Komponist*innen im 18. und 19. Jahrhundert immer wieder gleichgesetzt wurde.
Joseph Haydn gehört zu einer Reihe von Komponist*innen der Wiener Klassik, die sich nach Begegnungen mit entsprechenden Rom*nja-Musikkapellen in Wiener Cafés oder auf Reisen durch den Osten Europas inspiriert sahen von den tänzerischen, punktierten Rhythmen, abwechselnder Dur- und Moll-Melodik, der speziellen Tonleiter und lebhaftem Geigen-Kolorit – genauer gesagt: dem Klang virtuoser Roma-Ensembles, die in Wien zu dieser Zeit allgegenwärtig waren. Diese Kapellen verbanden Traditionen alter ungarischer Volksmusik mit balkanischen, slawischen, deutschen, italienischen und levantinischen Elementen zu einem eigenen musikalischen Stil: dem Verbunkos. Mozart, Brahms, Beethoven, Sarasate und Manuel de Falla sind nur einige, die Elemente dieses Stils in ihren Kompositionen übernahmen – und nicht selten exotisierten sie diese Klänge, die sie als „wild“ und „fremd“ assoziierten.
Auch in seinem Klaviertrio G-Dur arbeitete Joseph Haydn im finalen dritten Satz mit Versatzstücken dieses Stils und betitelte ihn „Rondo a l’Ongarese“ – Rondo „in ungarischer Weise“. Als Hofkapellmeister der ungarischen Familie Esterházy hatte er zwischen 1761 und 1790 unter anderem im Familiensitz in Eisenstadt, etwa 50 Kilometer von Wien entfernt, im Winterpalast in Wien und im Schloss Esterháza in Ungarn gelebt und gearbeitet – die musikalischen Eindrücke ließen ihn auch fünf Jahre später noch im fernen London nicht los. Haydn arbeitete in seinem Trio mit echten ungarischen Tanzweisen und Volksmelodien – das ist musikwissenschaftlich belegt –, verwandelt sie aber in vornehmes Theater mit höfischer Distanz – auch wenn die Musik für die damaligen feinen Londoner Verhältnisse mitunter brachial und ungestüm geklungen haben mag.
Anders als Haydn und andere bekannte Komponisten der Wiener Klassik, die sich des „ungarischen“ beziehungsweise des Roma-Stils bedienten, war Zoltán Kodály selbst Ungar – und hatte den Anspruch, die Volksmusik Ungarns authentisch und eben nicht im Sinne verkitschter Rom*nja-Folklore in seiner Musik zu verarbeiten. Dabei spiegelt Kodály die musikalische Praxis der ungarischen Bäuer*innen, so genau es geht: Beispielsweise deutet der Komponist vor Beginn den folkloristischen Brauch, sich vor Beginn des Konzerts improvisierend einzuspielen, mit einer Art Kadenz an. Später arbeitet er mit dialogisierenden Soli, variantenreichen Phrasierungen und deutlichen Motiv- und Klangzäsuren. Durch Tonrepetitionen und besonders schwungvolles Spiel schlägt er am Ende die Brücke zum Verbunkos-Stil der Rom*nja-Ensembles, die Ende des 18. Jahrhunderts so viele Menschen begeistert hat.
Beinahe 100 Jahre später komponiert György Kurtág sein Werk „Varga Bálint Ligaturája“ zu Ehren des ungarischen Schriftstellers und Publizisten Bálint András Varga, mit dem er befreundet war. Hier geht es nun nicht mehr primär um die Verarbeitung oder das Abbild musikalischer mit Ungarn assoziierter Stile – sondern darum, einen Freund und seine Liebe zu Neuer Musik zu ehren. Varga, der besonders durch seine Bücher und Interviews mit zeitgenössischen Komponist*innen bekannt geworden war, führte zwischendurch als Stellvertretender Direktor das Ungarische Kulturinstitut in Berlin und arbeitete zum Schluss als Leiter der Promotion-Abteilung der Wiener Universal Edition. Zum Ende seiner aktiven Laufbahn gab das Wiener Klaviertrio ihm zu Ehren ein Konzert, bei dem unter anderem Kurtágs Werk aufgenommen wurde. Das sehr kurze, ruhig fließende Stück erlebt durch Hadelich, Hecker und Helmchen an diesem Abend seine Deutsche Erstaufführung.
Das finale Werk des Abends beendet die Auseinandersetzung mit der musikalischen Kultur Ungarns und dem immensen künstlerischen Einfluss der Romn*ja auf die europäische klassische Musik. Robert Schumann komponierte das Klaviertrio d-Moll mit 37 Jahren – und mit ihm sein erstes Werk dieser Gattung. Den ersten Satz schenkte er Clara Schumann zu ihrem 28. Geburtstag – und sie ist begeistert: „Der erste Satz ist für mich einer der schönsten, die ich kenne“, schrieb sie. Später notiert sie in ihrem Tagebuch: „Es klingt wie von einem, von dem noch viel zu erwarten steht, so jugendfrisch und kräftig, dabei doch in der Ausführung so meisterhaft!“ So ungestüm und vielschichtig der erste Satz daherkommt, so schlicht wirkt vor diesem Kontrast der zweite – ein lebhaftes Scherzo mit auffälligen rhythmischen Motiven. „Langsam, mit inniger Empfindung“ hebt der Folgesatz die Zuhörer*innen akustisch aus dem vorherigen Geschehen heraus, schaltet kurz auf Pause, räsoniert – bis im temperamentvollen Finale mit seinem einprägsamen Hauptthema die Tonart endgültig nach Dur wechselt und die Stimmung sich gewandelt hat: strahlend, kraftvoll, zupackend. Nicht umsonst zählt dieses Trio bis heute zu den populärsten und bedeutendsten Werken Robert Schumanns.
Als Sohn deutscher Eltern in Italien geboren, studierte Augustin Hadelich an der New Yorker Juilliard School und gewann 2006 den Internationalen Violinwettbewerb in Indianapolis. 2009 erhielt er den prestigeträchtigen „Avery Fisher Career Grant“, 2011 eine Fellowship des Borletti-Buitoni Trust. 2015 gewann er den Warner Music Prize, 2016 folgte der Grammy Award. Das Fachmagazin „Musical America“ wählte ihn 2018 zum „Instrumentalist of the Year“. 2021 erhielt er einen Opus Classic für seine Aufnahme von Dvořáks Violinkonzert. Seit 2021 lehrt er an der Yale School of Music. Als Solist auf den Podien von Spitzenorchestern weltweit erfindet er das klassisch-romantische Violinrepertoire dank seines makellosen Spiels und seiner Gestaltungskraft immer wieder aufregend neu. Sein begeistert forschendes Interesse gilt dazu den Violinkonzerten des 20. und 21. Jahrhunderts. Augustin Hadelich spielt auf einer Violine von Giuseppe Guarneri del Gesù von 1744, bekannt als „Leduc, ex Szeryng“, einer Leihgabe des Tarisio Trust.
Die 1987 in Robert Schumanns Heimatstadt Zwickau geborene Marie-Elisabeth Hecker begann im Alter von fünf Jahren mit dem Cellospiel und besuchte das Robert-Schumann-Konservatorium, bevor der Cellist Peter Bruns ihr Hauptlehrer wurde. Ihr Studium setzte sie bei Heinrich Schiff fort.
2005 gewann sie beim Rostropowitsch-Wettbewerb in Paris sowohl den Ersten Preis als auch zwei Sonderpreise. 2009 wurde sie mit dem Borletti-Buitoni Trust Award ausgezeichnet. Mit ihrem Ehemann, dem Pianisten Martin Helmchen, ist sie weltweit in Rezitalen zu erleben. Regelmäßig spielt sie Kammermusikkonzerte in verschiedenen Formationen mit Antje Weithaas, Christian Tetzlaff, Stephen Waarts, Carolin Widmann und dem Apollon Musagète Quartett.
Neben ihrer Konzerttätigkeit ist sie seit August 2017 Professorin an der Hochschule für Musik „Carl Maria von Weber“ Dresden. In Zusammenarbeit mit Music Road
Rwanda unterstützt sie zudem eine Musikschule in Ruanda, mit der sie regelmäßig vor Ort musikalische Projekte realisiert.
1982 in Berlin geboren, studierte er zunächst bei Galina Iwanzowa an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin und wechselte später zu Arie Vardi an die HMTM Hannover; weitere Mentoren sind William Grant Naboré sowie Alfred Brendel.
2001 gewann er den „Concours Clara Haskil“. 2020 wurde er mit dem Gramophone Music Award für seine Einspielung aller Klavierkonzerte von Ludwig van Beethoven mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin unter Andrew Manze, die bei Alpha Classics erschien, ausgezeichnet. Die Saison 2023/24 begann mit seinem Debüt bei den BBC Proms mit dem BBC Symphony Orchestra unter Sakari Oramo (Brahms‘ 2. Klavierkonzert). Einen besonderen Stellenwert hat für ihn die Kammermusik – eine Leidenschaft, für die Boris Pergamenschikow die wesentlichen Impulse gab. Noch im Februar geht er auf eine Klavier-Trio-Tournee mit seiner Frau Marie-Elisabeth Hecker und Augustin Hadelich.
Seit 2010 ist Martin Helmchen Associate Professor für Kammermusik an der Kronberg Academy.