15.00 Uhr
Expeditionskonzert mit Joana Mallwitz
In ihrer Auftaktsaison setzt Joana Mallwitz mit dem Konzerthausorchester einen Schwerpunkt auf Werke von Kurt Weill – zu Beginn die erste, später die zweite Sinfonie und sein bekanntes Meisterwerk „Die sieben Todsünden". Lesen Sie in einem Überblick von Weill-Experte Elmar Juchem, was den Komponisten und die Hauptstadt verband.
Berlin? „Det is keen lauschiges Plätzchen; das ist ’ne ziemliche Stadt!“ lautet eine lakonische Textzeile in Kurt Weills 1928 komponiertem „Berlin im Licht“-Song – eine kleine Hommage an die von ihm so geliebte Stadt, in der er seit zehn Jahren lebt. Als lässiger Foxtrott ist der Song ein echter Vertreter für das Berlin der „Roaring Twenties“, die mit dem gemütlichen Hum-ta-ta von Paul Linckes Operettenmarsch „Berliner Luft“ nicht mehr viel gemein haben. Der Abiturient Weill hat das alte Berlin noch kennengelernt, als er im Frühjahr 1918 an der Königlichen Berliner Musikhochschule in die Kompositionsklasse von Engelbert Humperdinck aufgenommen wird. Die Barrikadenkämpfe am Schloßplatz und den Kollaps der Monarchie erlebt er in der Hauptstadt aus nächster Nähe.
Nach Ausrufung der Republik stürzt Kurt Weill sich ins überbordende Kulturleben der Großstadt – kaum ein Abend vergeht ohne Konzert-, Theater- oder Kinobesuch. Er schließt sich der Berliner Novembergruppe an, einer Vereinigung junger Künstler, die im Sinne der Novemberrevolution nach neuen Wegen für die Künste suchen. Als Ferruccio Busoni Ende 1920 die Meisterklasse für Komposition an der Akademie der Künste übernimmt, wird Weill sein erster Schüler. Fast gleichzeitig beginnt er mit der Komposition seiner ersten Sinfonie, in die er Motive aus einer wohl nur skizzierten Bühnenmusik zu Johannes R. Bechers Revolutionsdrama „Arbeiter Bauern Soldaten. Der Aufbruch eines Volks zu Gott“ einmontiert.
Fotos zur Verfügung gestellt vom Weill-Lenya Research Center, Kurt Weill Foundation for Music, New York
Neue Publikumskreise erschließt der Komponist sich gleich mit seinem ersten Bühnenwerk: Die Kinderpantomime „Zaubernacht“ läuft Ende 1922 ein halbes dutzend Mal im Theater am Kurfürstendamm. Als die Berliner Funk-Stunde Anfang 1924 ihren regelmäßigen Betrieb aufnimmt, erkennt Weill das ungeheure Potential des neuen Mediums, schreibt jahrelang als Journalist für eine Rundfunkzeitschrift und komponierte entsprechende Werke. Seine eigentliche Domäne wird das Musiktheater, doch auch im klassischen Konzertbetrieb hinterlässt er damals Spuren: Die Berliner Philharmoniker spielen 1923 sein Divertimento op. 5, 1925 die Orchesterlieder „Stundenbuch“ op. 13/14 und 1928 das Violinkonzert op. 12. 1926 heiratet Weill die Schauspielerin Lotte Lenya – eine stürmische Beziehung, die 1924 begonnen hat und trotz Trennungen bis zu Weills Tod 1950 nie abreißt.
Die Aufführung seines Operneinakters „Royal Palace“ 1927 an der Berliner Staatsoper unter Erich Kleiber ist ein Höhepunkt für Kurt Weill. Das große Tango-Finale dieser von ihm „tragische Revue“ betitelten Oper stößt wegen der Pop-Elemente auf Widerstand in konservativen Kreisen. Ganz anders dürfte Bertolt Brecht darauf reagiert haben, der auf Wink seines Mentors Herbert Jhering möglicherweise eine Aufführung besucht hat. Unterstützt von Brechts Mitarbeiterin Elisabeth Hauptmann beginnen der junge Dramatiker und der Komponist ihre legendäre Zusammenarbeit, die einen echten „Berlin-Sound“ hervorbringt: Hunderte Male läuft „Die Dreigroschenoper“ (1928) im Theater am Schiffbauerdamm, tausende Male in ganz Europa allein bis 1933.
Mit der Rundfunkkantate „Berliner Requiem“, die den preußischen Militarismus aufs Korn nimmt, machen sich Weill und Brecht allerdings Feinde. Die örtliche Zensur verhindert eine Radioausstrahlung in Berlin. Das Erstarken der Nationalsozialisten erschwert ihre Lage auch im liberalen Berlin zusehends: Kein öffentliches Opernhaus wagt mehr, „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ zu spielen. Weill sucht nach Möglichkeiten im Ausland. Noch im Herbst 1932 erreicht ihn aus Paris der Auftrag für die Komposition eines Orchesterstücks, das seine zweite Sinfonie werden soll.
Mit einem fertig skizzierten Kopfsatz im Gepäck flieht Weill im März 1933 ins rettende Exil, ohne je nach Berlin zurückzukehren. Seine Musik aber kam wieder. Und ist geblieben.