20.00 Uhr
Erinys Quartet
Als Präludium zur Eröffnung des Schinkelschen Schauspielhauses nach drei Jahren Bauzeit erklingt im – kleinen – Concertsaal – Händels „Alexanderfest“.
Im Beisein von Friedrich Wilhelm III und seinem Hofstaat wird das gesamte Haus mit einem von Goethe verfassten Prolog feierlich eröffnet.
Mit der Uraufführung von Carl Maria von Webers „Freischütz“ wird Musikgeschichte geschrieben. Und ganz Berlin singt und pfeift bald Ohrwürmer wie den „Jägerchor“ oder das Lied vom „Jungfernkranz“.
Die Berliner Erstaufführung von Beethovens Neunter entzweit die Kritik. In der der „Vossischen Zeitung“ liest man, die „Damen“ seien „betroffen“, die „Gesichter der Herren zum Lachen verzogen“ gewesen. Die „Berliner Allgemeine Musikalische Zeitung“dagegen ist des Lobes voll : „Noch lebt uns der herrliche Meister, den künftige Geschlechter einst verehren …“
„Vielleicht hätte Goethes Mephisto die Violine so gespielt.“ Ludwig Rellstab, Kritiker
Niccolò Paganini, der Violinvirtuose aus Genua, versetzt in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts halb Europa in einen wahren Taumel. Jetzt kommt er nach Berlin und spielt zum Auftakt seiner insgesamt zwölf Auftritte im Schauspielhaus. „Vielleicht hätte Goethes Mephisto die Violine so gespielt“, stellt Kritiker Ludwig Rellstab fest. Und Fanny Mendelssohn, Schwester des Komponisten, ist nach dem Konzert keineswegs zurückhaltender in ihrem Urteil „über dieses höchst wunderbare, unbegreifliche Talent, über diesen Menschen, der das Aussehen eines wahnsinnigen Mörders und die Bewegungen eines Affen hat. Ein übernatürliches, wildes Genie. Er ist höchst aufregend und pikant.“
„EIN HÖCHST WUNDERBARES, UNBEGREIFLICHES TALENT, (...) DIESEN MENSCHEN, DER DAS AUSSEHEN EINES WAHNSINNIGEN MÖRDERS UND DIE BEWEGUNGEN EINES AFFEN HAT. EIN ÜBERNATÜRLICHES, WILDES GENIE. ER IST HÖCHST AUFREGEND UND PIKANT.“ FANNY MENDELSSOHN, KOMPONISTIN
Die Revolutionäre von 1848 forderten demokratische Grundrechte wie Rede-, Versammlungs- und Pressefreiheit sowie ein Wahlrecht. Truppen des preußischen Königs marschierten gegen die Barrikaden auf dem Gendarmenmarkt und schlugen den Protest blutig nieder. Nur vier Tage später demonstrierte die feierliche Aufbahrung von 183 „Märzgefallenen“ dort aber scheinbar den Sieg der Revolution. Adolph Menzel verewigte das Motiv in einem berühmten Gemälde: Eine Menschenmenge unterschiedlicher Stände versammelte sich am 22. März 1848, um den Toten die letzte Ehre zu erweisen. Ab September tagte im großen Saal des Schauspielhauses Preußens erstes modernes Parlament. Wieder gab es Demonstrationen, am 31. Oktober bedrängten bewaffnete Arbeiter die Abgeordneten. Zehn Tage später wurde das demokratische Experiment durch königliche Truppen erneut beendet.
Theodor Fontanes Karriere als Theaterkritiker bei der „Vossischen Zeitung“ beginnt. Zuständig für die Sparte „Königliche Schauspiele“, besucht er schon zwei Tage später Schillers Freiheitsdrama „Wilhelm Tell“. Von seinem berühmten Parkettplatz 23 beobachtet Fontane in den nächsten zwei Jahrzehnten das Bühnengeschehen. Seine mit „Th. F.“ gezeichneten Besprechungen machen ihm einen Namen, aber nicht nur Freunde: „‘Da sitzt das Scheusal wieder‘, habe ich sehr oft auf den Gesichtern gelesen.“
„Ich habe da viel angenehme Stunden zugebracht, aber ein merkwürdiger Platz war es doch auch.“ Theodor Fontane
Berlin begeht Friedrich Schillers 112. Geburtstag mit der Einweihung seines von Reinhold Begas geschaffenen Denkmals vor dem Schauspielhaus. Die Grundsteinlegung war 1859 noch argwöhnisch von der Polizei überwacht worden. Nun schaut neben einem Dutzend Hoheiten selbst der frischgebackene Kaiser Wilhelm I. zu, wenn auch bloß durch die Fenster des Seehandlungspalais Ecke Jägerstraße. Schillers Enkel ist anwesend, nur die Leitung des Schauspielhauses hat man vergessen einzuladen. Abends zeigt man dort natürlich ein Werk des Jubilars, „Wallensteins Lager“.
„Dass er Leben rettete und zugleich ein Nutznießer des Regimes war, gehört zur Ambiguität, die man aushalten muss, wenn man an Gründgens denkt." Thomas Blubacher, Gründgens-Biograph
Der große Schauspieler Gustaf Gründgens (1899 – 1963) wird von Ministerpräsident Hermann Göring zum Intendanten des Preußischen Staatstheaters im Schauspielhaus ernannt: Eine zwiespältige Persönlichkeit, die das Haus in düsterster Zeit zur Blüte bringt. Bedeutende Inszenierungen – beispielsweise „Faust“ und „Hamlet“ – entstehen, im Ensemble wirken Werner Krauß, Bernhard Minetti, Maria Koppenhöfer, Hermine Körner, Käthe Gold, Käthe Dorsch, Marianne Hoppe, Elisabeth Flickenschildt, Gustav Knuth, Paul Wegener, Theo Lingen oder Heinz Rühmann.
Während des zweiten Weltkriegs treffen mehrmals Bomben das Schauspielhaus, bereits 1943 wird der Südflügel mit dem Konzertsaal zerstört. Die Schäden werden soweit ausgebessert, dass bis in die letzten Kriegswochen ein notdürftiger Spielbetrieb – zuletzt mit Lesungen – möglich ist. Die Kämpfe der letzten Kriegstage bringen dem Schinkelbau jedoch völlige Zerstörung. Die Ursachen des verheerenden Brandes lassen sich nicht mehr nachvollziehen.
Das Gastspiel des legendären Alexandrow-Ensembles brennt sich ins kollektive Gedächtnis ein: Mitten in der zerstörten Stadt, zwischen den ausgebrannten Ruinen der Dome und des Schauspielhauses, tragen die Mitglieder dieses Kulturensembles der Roten Armee nicht nur Folklore ihrer Heimat vor, sondern singen sich mit deutschen Volksliedern in die Herzen der etwa 35.000 Zuhörer*innen, die Sehnsucht nach Schönheit und Hoffnung bewegen. Zu später immer wieder gesendeten Tondokumenten gehört eine Aufnahme von „Im schönsten Wiesengrunde“.
Den Auftrag zum Wiederaufbau der Ruine des Schauspielhauses als Konzerthaus bekommt das Architekten-Team Ehrhardt Gißke, Klaus Just und Manfred Prasser. Prasser will das Innere des Gebäudes nicht wie zunächst von der DDR-Führung gewünscht modern, sondern im Sinne Schinkels gestalten. Er bekommt schließlich grünes Licht und setzt sich über die Jahre bis ins letzte Detail und höchst kreativ mit seinem neuen Vorbild auseinander.
„Wenn der Schinkel das gesehen hätte, wie wir das gemacht haben, dann hätte er sich gefreut.“ Manfred Prasser, Architekt
Das Berliner Sinfonie-Orchester hatte lange keine eigene Spielstätte. Die bekommt es nun im frisch renovierten Schauspielhaus. Unter Leitung von Kurt Sanderling und Claus Peter Flor eröffnet es vor versammelter DDR-Prominenz „sein“ Haus unter anderem mit der „Freischütz-Ouvertüre“ und Beethovens Fünfter. Erste Musik gab es dort übrigens schon drei Jahre zuvor: Als Dankeschön spielte das Orchester im Rohbau das legendäre „Baustellenkonzert“ für die „Bauschaffenden“.
In geteilten Stadt Berlin wird das 750-jährige Jubiläum der Ersterwähnung mit großem Gepräge begangen. Am Schauspielhaus sind prominente Künstler*innen aus aller Welt zu erleben, darunter das Concertgebouworkest Amsterdam mit Leonard Bernstein, Chor und Orchester der Mailänder Scala mit Riccardo Muti, die Münchner Philharmoniker mit Sergiu Celibidache, die Wiener Philharmoniker mit Claudio Abbado oder das Philharmonische Staatsorchester mit Sir Yehudi Menuhin. Eine kulturpolitische Sensation ist der erste Auftritt eines Jeunesses-Musicales-Weltorchesters in der DDR. Mitten in der Sommerpause erklingt am 15. August unter Leitung von Jeffrey Tate Benjamin Brittens „War Requiem“.
Im Großen Saal dirigiert Leonard Bernstein wenige Wochen nach dem Fall der Mauer beim „Berlin Celebration Concert“ Beethovens Neunte. Es spielen Musiker*innen aus Ost- und West-Berlin sowie den vier Ländern der Siegermächte. Im letzten Satz ändert Bernstein den Text: Statt der „Ode an die Freude“ wird eine „Ode an die Freiheit“ gesungen. Viele, die damals im Publikum gesessen haben, erinnern sich bis heute mit großer Rührung an diese eindrückliche Geste und die ganz besondere Stimmung des Konzertabends.
Die Mitglieder des Deutschen Bundestags sowie der Volkskammer der DDR, die Regierungen der beiden noch existierenden deutschen Staaten sowie prominente Gäste versammeln sich zum Festakt im Schauspielhaus. Der letzte Ministerpräsident der DDR Lothar de Maizière verabschiedet die DDR in seiner Rede in die Geschichte, Kurt Masur dirigiert Beethovens Neunte mit dem Gewandhausorchester Leipzig und einem „gesamtdeutschen“ Vokalensemble.
Bereits seit 1992 ist Frank Schneider als Intendant zugleich für Schauspielhaus und Berliner Sinfonie-Orchester verantwortlich. Nun werden Haus und Orchester auch als Institutionen zusammengefasst. Das Schauspielhaus wird offziell zum Konzerthaus Berlin.
Im Dachgeschoss des Hauses wird der Werner-Otto-Saal eröffnet, mit dem Architekt Peter Kulka einen sachlich-modernen Kontrast zum übrigen Gebäude setzt. Dank einer sehr großzügigen Spende des Mäzens Werner Otto ist der ehemalige Orchesterprobensaal zu einer flexiblen „black box“ mit Hubpodien umgestaltet worden.
Das Berliner Sinfonie-Orchester wird zum Konzerthausorchester Berlin und trägt damit seine Heimstatt am Gendarmenmarkt ab sofort auch im Namen.
Über den Sommer wird die Bühne des Großen Saals drei Monate lang komplett neu gebaut. Pünktlich zum Saisonauftakt im Herbst ist es nun möglich, die Bühnenfläche in 34 Podest-Ebenen einzurichten und die circa 220m² große Szenenfläche komplett auf Saalniveau zu fahren. Dadurch können Veranstaltungen im Großen Saal schneller auf- und abgebaut werden. Durch die große Flexibilität werden innovative Formate wie das sofort enorm erfolgreiche „Mittendrin“ möglich, bei dem das Publikum zwischen den von Chefdirigent Iván Fischer geleiteten Musiker*innen des Konzerthausorchesters sitzt.
Nach Stationen in Erfurt und Nürnberg ist Joana Mallwitz ab Saison 2023/24 neue Chefdirigentin und Künstlerische Leiterin des Konzerthausorchesters Berlin für die folgenden fünf Spielzeiten.
„Ich freue mich riesig auf Berlin und das Berliner Publikum.“