Recital Matthias Goerne

By Dr. Harald Hodeige Dec. 16, 2025

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Inhalt

Rezital

Matthias Goerne  Bariton
Markus Hinterhäuser  Klavier

Programm

Dmitri Schostakowitsch (1906-1975)
„Wahrheit“ op. 145 Nr. 1
(aus: Suite auf Verse von Michelangelo Buonarroti)

 

Franz Schubert (1797-1828)„Frühlingsglaube“ D 686
Text: Ludwig Uhland

 

Gustav Mahler (1860-1911)
„Ich atmet’ einen linden Duft“
(aus: Fünf Lieder auf Gedichte von Friedrich Rückert)

„Wo die schönen Trompeten blasen“
Text: aus „Des Knaben Wunderhorn“

 

Dmitri Schostakowitsch
„Morgen“ op. 145 Nr. 2
„Liebe“ op. 145 Nr. 3
(aus: Suite auf Verse von Michelangelo Buonarroti)

 

Franz Schubert
Gesänge des Harfners aus „Wilhelm Meister“
Nr. 1 „Wer sich der Einsamkeit ergibt“ D 478
Text: Johann Wolfgang Goethe

 

Dmitri Schostakowitsch
„Trennung“ op. 145 Nr. 4
(aus: Suite auf Verse von Michelangelo Buonarroti)

 

Gustav Mahler
„Ich ging mit Lust durch einen grünen Wald“
(aus: Lieder und Gesänge aus der Jugendzeit)
Text: aus „Des Knaben Wunderhorn“

 

Franz Schubert
Gesänge des Harfners aus „Wilhelm Meister“
Nr. 2 „Wer nie sein Brot mit Tränen aß“ D 479
Text: Johann Wolfgang Goethe

 

Gustav Mahler
„Nun seh’ ich wohl, warum so dunkle Flammen“
(aus: „Kindertotenlieder“)
Text: Friedrich Rückert

 

Gustav Mahler
„Urlicht“
Text: aus „Des Knaben Wunderhorn“

 

Franz Schubert
Gesänge des Harfners aus „Wilhelm Meister“
Nr. 3 „An die Türen will ich schleichen“ D 480
Text: Johann Wolfgang Goethe

 

Dmitri Schostakowitsch
„Dem Verbannten“ op. 145 Nr. 7
(aus: Suite auf Verse von Michelangelo Buonarroti)

 

Gustav Mahler 
„Zu Straßburg auf der Schanz’“
(aus: Lieder und Gesänge aus der Jugendzeit)
Text: aus „Des Knaben Wunderhorn“

„Der Tamboursg’sell“
Text: aus „Des Knaben Wunderhorn“

 

Dmitri Schostakowitsch
„Tod“ op. 145 Nr. 10
(aus: Suite auf Verse von Michelangelo Buonarroti)

 

Konzert ohne Pause

Beziehungszauber

Lieder von Schubert, Mahler und Schostakowitsch

  • Die Texte der Lieder

    Wahrheit
    Ein altes Wort, dem Wahrheit innewohnt,
    ist dieses, Herr: „Wer viel hat, will nicht geben.“
    Du hörst nur auf die Schwätzer, und grad eben
    hast du den Lügner selbst noch reich belohnt.

    Ich diente dir, gab dir mein Schaffen gern
    und strahlte deinem Licht mit meinem Leben.
    Doch ungerührt ließ dich mein ganzes Streben,
    je mehr ich schuf, je mehr stand ich dir fern.

    Ich dachte, zu dir selbst emporzusteigen,
    und fand nur hohles Echo im Palast,
    wo sonst dein starkes Schwert, des Rechtes Waage.

    Der Himmel scheint sich teilnahmslos zu zeigen,
    ich starre an des dürren Baumes Ast,
    wohl wissend, dass er niemals Früchte trage.

    Frühlingsglaube
    Die linden Lüfte sind erwacht,
    sie säuseln und weben Tag und Nacht;
    sie schaffen an allen Enden, an allen Enden.
    O frischer Duft, o neuer Klang!
    Nun, armes Herze, sei nicht bang!
    Nun muss sich Alles, Alles wenden.

    Die Welt wird schöner jedem Tag;
    man weiß nicht, was werden mag;
    das Blühen will nicht enden.
    Es blüht das fernste, tiefste Tal.
    Nun, armes Herz, vergiß der Qual!
    Nun muss sich Alles, Alles wenden.

    Ich atmet' einen linden Duft!
    Ich atmet’ einen linden Duft!
    Im Zimmer stand
    Ein Zweig der Linde,
    Ein Angebinde
    Von lieber Hand.
    Wie lieblich war der Lindenduft!

    Wie lieblich ist der Lindenduft!
    Das Lindenreis
    Brachst du gelinde!
    Ich atme leis
    Im Duft der Linde
    Der Liebe linden Duft.

    Wo die schönen Trompeten blasen 
    Wer ist denn draußen und wer klopfet an,
    Der mich so leise, so leise wecken kann?
    Das ist der Herzallerliebste dein,
    Steh auf und laß mich zu dir ein!

    Was soll ich hier nun länger stehn?
    Ich seh die Morgenröt aufgehn,
    Die Morgenröt, zwei helle Stern,
    Bei meinem Schatz, da wär ich gern,
    bei meiner Herzallerliebsten.

    Das Mädchen stand auf und ließ ihn ein;
    Sie heißt ihn auch wilkommen sein.
    Willkommen, lieber Knabe mein,
    So lang hast du gestanden!

    Sie reicht ihm auch die schneeweiße Hand.
    Von ferne sang die Nachtigall
    Das Mädchen fing zu weinen an.

    Ach weine nicht, du Liebste mein,
    Aufs Jahr sollst du mein eigen sein.
    Mein Eigen sollst du werden gewiß,
    Wie's keine sonst auf Erden ist.
    O Lieb auf grüner Erden.

    Ich zieh in Krieg auf grüner Heid,
    Die grüne Heide, die ist so weit.
    Allwo dort die schönen Trompeten blasen,
    Da ist mein Haus, von grünem Rasen. 

    Morgen
    Wie mag es diesen Blütenkranz entzücken,
    der sich um deine goldnen Flechten drängt
    und heimlich sich auf deine Stirne senkt,
    um einen sanften Kuss darauf zu drücken!

    Viel mehr noch muss das Kleid es wohl beglücken,
    wenn es wie Wellen deinen Leib umfängt;
    wie froh das Haar, wenn es herniederhängt,
    um zärtlich kosend dein Gesicht zu schmücken!

    Das Seidenband noch größre Lust verspürt,
    mit Gold durchwirkt, umschließt es mit Verlangen
    dein Kleid, um nah an deiner Brust zu ruhn.

    Und dort der Gürtel, der dich eng berührt,
    er scheint zu flüstern: „Will dich stets umfangen ...“
    Ach, könnten meine Arme dies doch tun!

    Liebe
    „Sag, Liebe, mir, ob meine Augen schauen
    die wahre Schönheit, die ich so erstrebt,
    ob sie vielleicht in meinem Innern lebt
    und sich mir zeigt im Bild, aus Stein gehauen?

    Du weißt es wohl, mit ihr bist du gekommen,
    um mir den Schlaf zu rauben. Dich ich mag
    nicht einen Seufzer missen, keinen Tag
    sei mir die Glut der Seele abgenommen.“

    „Die Schönheit selbst erblickst du, das ist wahr,
    doch wächst ihr Glanz zu überird’schen Sphären,
    je weiter sie vom Aug‘ zur Seele dringt.

    Dort wird sie göttlich, wahrhaft schöner gar,
    Unsterblichkeit wird endlich sie verklären:
    Dies ist die Schönheit, die dein Herz bezwingt.“

    Harfenspieler
    Wer sich der Einsamkeit ergibt,
    Ach, der ist bald allein;
    Ein jeder lebt, ein jeder liebt
    Und läßt ihn seiner Pein.
    Ja! laßt mich meiner Qual!
    Und kann ich nur einmal
    Recht einsam sein,
    Dann bin ich nicht allein.

    Es schleicht ein Liebender lauschend sacht,
    Ob seine Freundin allein?
    So überschleicht bei Tag und Nacht
    Mich Einsamen die Pein,
    Mich Einsamen die Qual.
    Ach, werd' ich erst einmal
    Einsam im Grabe sein,
    Da läßt sie mich allein!

    Trennung
    Wie wag‘ ich es, mein Lieb, allein,
    ganz ohne dich zu sein, was muss ich leiden,
    wie trag ich den Gedanken, dich zu meiden?

    Es geben meinem Herzen das Geleit
    mein Flehen, meine Seufzer, meine Klagen.
    Wie soll ich es, Madonna, je ertragen:
    der Tod, ich weiß es wohl, ist nicht mehr weit.

    Kann ich nicht bei dir sein, um dir zu dienen,
    so lass mich stets dir im Gedächtnis sein
    und nimm zu dir mein Herz, das nicht mehr mein.

    Ich ging mit Lust durch einen grünen Wald 
    Ich ging mit Lust durch einen grünen Wald,
    Ich hört die Vöglein singen;
    Sie sangen so jung, sie sangen so alt,
    Die kleinen Waldvögelein im grünen Wald!
    Wie gern hört ich sie singen!

    Nun sing, nun sing, Frau Nachtigall!
    Sing du's bei meinem Feinsliebchen:
    „Komm schier, komm schier, wenn's finster ist,
    Wenn niemand auf der Gasse ist,
    Dann komm zu mir, dann komm zu mir!
    Herein will ich dich lassen, ja lassen!“

    Der Tag verging, die Nacht brach an,
    Er kam zu Feinsliebchen gegangen.
    Er klopft so leis' wohl an den Ring,
    „Ei, schläfst du oder wachst, mein Kind?
    Ich hab so lang gestanden!"

    Es schaut der Mond durchs Fensterlein 
    Zum holden, süßen Lieben,
    Die Nachtigall sang die ganze Nacht.
    Du schlafselig Mägdelein, nimm dich in Acht!
    Wo ist dein Herzliebster geblieben? 

    Wer nie sein Brot mit Tränen aß
    Wer nie sein Brot mit Tränen aß,
    Wer nie die kummervollen Nächte
    Auf seinem Bette weinend saß,
    Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte.

    Ihr führt ins Leben uns hinein,
    Ihr laßt den Armen schuldig werden,
    Dann überlaßt ihr ihn der Pein,
    Denn alle Schuld rächt sich auf Erden.

    Nun seh' ich wohl, warum so dunkle Flammen
    Nun seh ich wohl, warum so dunkle Flammen
    Ihr sprühtet mir in manchem Augenblicke.
    O Augen, gleichsam, um in einem Blicke
    Zu drängen eure ganze Macht zusammen.

    Doch ahnt' ich nicht, weil Nebel mich umschwammen,
    Gewoben vom verblendenden Geschicke,
    Daß sich der Strahl bereits zur Heimkehr schicke,
    Dorthin, von wannen alle Strahlen stammen.

    Ihr wolltet mir mit eurem Leuchten sagen:
    Wir möchten nah dir immer bleiben gerne!
    Doch ist uns das vom Schicksal abgeschlagen.

    Sieh' recht uns an, denn bald sind wir dir ferne!
    Was dir noch Augen sind in diesen Tagen:
    In künft'gen Nächten sind es dir nur Sterne.

    Urlicht
    O Röschen rot,
    Der Mensch liegt in größter Not,
    Der Mensch liegt in größter Pein,
    Je lieber möcht' ich im Himmel sein.
    Da kam ich auf einen breiten Weg,

    Da kam ein Engelein und wollt mich abweisen, 
    Ach nein ich ließ mich nicht abweisen.
    Ich bin von Gott und will wieder zu Gott,
    Der liebe Gott wird mir ein Lichtchen geben, 
    Wird leuchten mir bis an das ewig selig Leben.

    An die Türen will ich schleichen... 
    An die Türen will ich schleichen,
    Still und sittsam will ich steh′n;
    Fromme Hand wird Nahrung reichen,
    Und ich werde weitergehn.

    Jeder wird sich glücklich scheinen,
    Wenn mein Bild vor ihm erscheint;
    Eine Träne wird er weinen,
    Und ich weiß nicht, was er weint.

    Dem Verbannten
    Wir ehren ihn, doch jedes Wort versagt.
    Sein starker Glanz hat unsern Blick geblendet.
    Den Pöbel tadeln? Solcher Eifer endet,
    wenn unser Lob so nichtig und verzagt.

    Er stieg hinab und drang zur Hölle vor,
    stieg auf zu Gott, der seine Weisheit mehrte:
    Doch was ihm selbst der Himmel nicht verwehrte,
    vor Dante schloss die Heimatstadt das Tor.

    O Stadt, so undankbar! Die Schmach bekenne,
    den Sohn gequält zu haben unverwandt.
    Muss denn, was groß ist, so erniedrigt werden!

    Ein Beispiel nur von tausenden ich euch nenne:
    Nie ward ein Mann so ungerecht verbannt,
    nie hat ein größrer Mensch gelebt auf Erden!

    Zu Straßburg auf der Schanz
    Zu Straßburg auf der Schanz,
    da fing mein Unglück an.
    Da wollt‘ ich den Franzosen desertieren
    und wollt es bei den Preußen probieren.
    Ei das ging nicht an, ei das ging nicht an.

    Eine Stund‘ wohl in der Nacht
    haben's mich gefangen bracht;
    sie führten mich vors Hauptmanns Haus:
    O Himmel, was soll werden draus!
    Mit mir ists aus!

    Früh morgens um zehn Uhr
    stellt man mich dem Regimente vor;
    da soll ich bitten um Pardon
    und werd ich kriegen meinen Lohn.
    Das weiß ich schon.

    Ihr Brüder allzumal,
    heut seht ihr mich zum letztenmal.
    Unser Corporal, der gestrenge Mann,
    ist meines Todes Schuld daran.
    Den klag ich an!

    Ihr Brüder alle drei,
    ich bitt, schießt allzugleich!
    Verschont mein junges Leben nicht,
    schießt, daß das rote Blut 'rausspritzt.
    Das bitt ich euch!

    O Himmelskönigin,
    nimm meine Seel dahin!
    Nimm sie zu dir in Himmel hinein,
    allwo die lieben Englein sein.
    Und vergiß nicht mein!

    Der Tamboursg’sell
    Ich armer Tamboursg’sell.
    Man führt mich aus dem G’wölb,
    Wär ich ein Tambour blieben,
    Dürft ich nicht gefangen liegen.

    O Galgen, du hohes Haus,
    Du siehst so furchtbar aus,
    Ich schau dich nicht mehr an,
    Weil i weiß, daß i g’hör dran.

    Wenn Soldaten vorbeimarschieren,
    Bei mir nit einquartiern.
    Wenn sie fragen wer i g’wesen bin:
    Tambour von der Leibkompanie.

    Gute Nacht, ihr Marmelstein,
    Ihr Berg und Hügelein,
    Gute Nacht, ihr Offizier,
    Korporal und Musketier,
    Gute Nacht, ihr Offizier,
    Korporal und Grenadier,
    Ich schrei mit heller Stimm,
    Von euch ich Urlaub nimm,
    Gute Nacht.

    Tod
    Es kommt der Tod, doch fraglich ist die Stunde,
    ich weiß nur, kurz bemessen ist die Zeit;
    den Sinnen tut es um das Dasein leid,
    die Seele fühlt sich mit dem Tod im Bunde.

    Blind ist die Welt: wen mag es denn schon sorgen,
    wenn böses Beispiel bessres Tun verdrängt?
    Wie hoffnungslos uns Dunkelheit umfängt:
    Die Lüge herrscht, die Wahrheit bleibt verborgen.

    Wann kommt, o Herr, wofür wir es gewagt,
    dir gläubig zu vertraun? Das Darauf-Harren
    verstärkt das Unheil, bringt der Seele Tod.

    Was hilft uns Licht, wenn längst bevor es tagt
    der Tod herannaht, und wenn wir jäh erstarren,
    wie er uns trifft, in Schande und in Not?

    (Deutsche Nachdichtung der Verse von Michelangelo Buonarroti von Jörg Morgener/
    1974 by Musikverlag Hans Sikorski, Hamburg)

Gustav Mahler muss die Musik von Franz Schubert sehr gemocht haben, denn in seinen Liederzyklen knüpfte er direkt an die des Frühromantikers an. Zudem spielte Mahler bei einem seiner ersten Konzertauftritte in Iglau die „Wanderer-Fantasie“ und veranstaltete zu Schuberts 100. Geburtstag ein Gedenkkonzert im Hamburger Stadttheater, bei dem neben „Unvollendeter“ und „Rosamunde“-Ouvertüre auch mehrere Schubert-Lieder auf dem Programm standen, die er vom Klavier aus begleitete. Dmitri Schostakowitsch wiederum liebte die Musik Gustav Mahlers: „Wenn mir nur eine Stunde meines Lebens bliebe und ich nur eine Schallplatte anzuhören hätte, würde ich das Finale des ‚Liedes von der Erde‘ wählen.“ Obwohl sich Schostakowitsch unter anderem an Mahlers melodischen Einfällen orientierte (ohne direkt zu zitieren), gelang es beiden Komponisten, das, was sie aus vergangenen Epochen übernahmen, in einem jeweils unverwechselbaren Stil einzuschmelzen. Zu diesem Stil gehörte bei Mahler ein charakteristischer „Volkston“, der mit den Gedichten aus der von Achim von Arnim und Clemens Brentano zusammengetragenen Volksliedsammlung „Des Knaben Wunderhorn“ korrespondieren. Verzweiflung und Tod sind hier prominent vertreten – in Versen, die die ganze menschliche Tragik offenlegen, weil sie zeigen, was der Mensch mit sich macht, mit sich machen lässt, was er sich selbst antut und wie er immer den Tod in den Blick nimmt. Auch die „Kindertotenlieder“ nach Gedichten von Friedrich Rückert sind tieftragisch: ein Zyklus, der Schostakowitsch zur Komposition seiner Michelangelo-Suite op. 145 inspirierte.

„Herzrührende, klagende Töne“

„Vergangenen Freitag“, schrieb Schuberts Freund Joseph Huber Ende Januar 1821, „habe ich mich recht gut unterhalten, da […] Franz [Schober] den Schubert Abends eingeladen [hat] und 14 seiner guten Bekannten. Da wurden eine Menge herrlicher Lieder Schuberts von ihm selbst gespielt und gesungen was bis nach 10 Uhr Abends dauerte. Hernach wurde Punsch getrunken, den einer aus der Gesellschaft gab, und da er sehr gut und in Menge da war, wurde die ohnedies schon fröhlich gestimmte Gesellschaft noch lustiger, so wurde es 3 Uhr Morgens als wir auseinander gingen.“

„Schubertiaden“, private Konzerte, bei denen neben Schuberts engsten Freunden auch die Maler Moritz von Schwind und Wilhelm August Rieder, die Dichter Johann Mayrhofer, Johann Gabriel Seidl und der Komponist und Dirigent Franz Lachner regelmäßig anwesend waren, erwiesen sich als die wichtigste Plattform für Schuberts Vokalmusikproduktion. Vorgetragen wurden sie oft vom Bariton Johann Michael Vogl, der seit 1794 am Kärntnertortheater engagiert war, sich unermüdlich für Schuberts Schaffen einsetzte und zu den bekanntesten Opernsängern seiner Zeit gehörte. Er dürfte neben der Uhland-Vertonung „Frühlingsglaube“ (mit der Hoffnung, dass sich „alles, alles wenden“ müsse) auch Goethe-Lieder wie die „Gesänge des Harfners“ aus „Wilhelm Meister“ gesungen haben – wenngleich die ausgeprägten Kontraste und expressive Harmonik in dieser ersten zyklischen Liedersammlung Schuberts viele der am Strophenlied geschulten Zeitgenossen vor beträchtliche Herausforderungen stellten, weshalb ein Rezensent 1824 auch bemerkte: „Herr Franz Schubert schreibt keine eigentlichen Lieder und will keine schreiben […], sondern freie Gesänge, manche so frei, daß man sie allenfalls Kapricen oder Fantasien nennen kann.“ Im Fall der drei Harfner-Gesänge folgte Schubert allerdings nur Goethes eigener Beschreibung: „Es waren herzrührende, klagende Töne, von einem traurigen, ängstlichen Gesang begleitet. Wilhelm schlich an die Türe, und da der gute Alte eine Art von Phantasie vortrug und wenige Strophen teils singend, teils rezitierend immer wiederholte, konnte der Horcher, nach einer kurzen Aufmerksamkeit, ungefähr folgendes verstehen: Wer nie sein Brot mit Tränen aß […]“.

„Weisheit, Liebe, Schaffen, Tod, Unsterblichkeit“

Michelangelo. Ausschnitt eines Daniele da Volterra zugeschriebenen Porträts , um 1544

„Mahler hat alle besten Traditionen der Vergangenheit in sich eingesaugt.“ Diesen Satz hätte Dmitri Schostakowitsch mit Sicherheit auch für sich selbst gelten lassen, da sich in seinem Œuvre Einflüsse von Beethoven, Tschaikowsky, Mussorgsky, Prokofjew und Strawinsky finden lassen. Eine besondere Beziehung hatte er jedoch zur Musik Gustav Mahlers, was in seinem Schaffen natürlich Spuren hinterlassen hat, nicht nur in seiner Suite op. 145 nach Gedichten Michelangelo Buonarrotis. Als 1975 Michelangelos 500. Geburtstag anstand, nutzte Schostakowitsch die Gelegenheit, auf seine Suite in offiziellem Tonfall hinzuweisen: „Michelangelo gehört nicht nur den Italienern, sondern allen Völkern, die von seinem Genie erfahren haben. Seiner Dichtung entspringen wichtige philosophische Theorien, ein tiefer Humanismus und scharfsinnige Gedanken über die Liebe und die Kunst. Meine Suite […] fußt auf acht Sonetten und drei Gedichten Michelangelos. Es gibt dort Lyrismus, Tragödie, Drama und zwei Lobreden zu Ehren Dantes.“ Gut zurechtgelegt, aber worum es wirklich geht, beschrieb der Komponist in einem Brief vom 23. August 1974 an seinen Freund Isaak Glikman: „Ich habe […] mir die Reproduktionen der großen Schöpfungen Michelangelos eingehend betrachtet, und dabei habe ich eine Reihe poetischer Werke von ihm entdeckt. Das Wesentliche an den Sonetten schien mir folgendes zu sein: Weisheit, Liebe, Schaffen, Tod, Unsterblichkeit.“

Die ausgewählten Texte, die von einem Prolog („Wahrheit“, Nr. 1) und einem Epilog gerahmt werden, bilden in der Suite drei Kapitel, die durch Querverweise miteinander verbunden sind. Das erste kreist um die Liebe, die von der Erotik des „Morgen“ (Nr. 2) in der Katastrophe der „Trennung“ (Nr. 4) endet, wobei Schostakowitsch bereits im „Morgen“ auf jede Sinnlichkeit verzichtet: Während ausgehaltene Dur-Dreiklänge Schönheit und Anmut symbolisieren, steuert die Singstimme nur psalmodierenden Sprechgesang zum kargen musikalischen Geschehen bei. Ähnlich asketisch gibt sich auch die „Trennung“, wo die Singstimme im Charakter eines gregorianischen Chorals nur von wenigen Akkorden in tiefer Lage gestützt wird. Kommt der Tod zur Sprache – zum ersten Mal innerhalb des Zyklus‘ –, zitiert Schostakowitsch den Schlussgesang der „Vier letzten Lieder“ von Richard Strauss: „Ist dies etwa der Tod?“.

Im Largo „Dem Verbannten“ (Nr. 7) wird schließlich das Verhältnis von Kunst und Macht verhandelt (Michelangelo wurde 1529 geächtet und floh nach Venedig), wobei im Text Formeln aus dem christlichen Glaubensbekenntnis anklingen: zur Charakterisierung des Künstlers, der Himmel und Hölle durchschritten hat. Vom Tod schließlich handelt das letzte Kapitel, wobei das gleichnamige Lied (Nr. 10) eine Brücke zum Anfang schlägt: Die Sinne erinnern an den „Morgen“ (Nr. 2), während Lüge und Wahrheit auf den Prolog (Nr. 1) verweisen.

Michelangelo Buonarroti. Skizze „Wehklage“, ca. 1530

„Natur, Frömmigkeit, Sehnsucht, Liebe, Abschied, Nacht, Tod …“

Dort, „Wo die schönen Trompeten blasen“, möchte man nicht sein. Gustav Mahler komponierte das Lied, für das er zwei Gedichte aus der Sammlung „Des Knaben Wunderhorn“ kombinierte und mit neuem Titel versah, als Dialog: Ein „Knabe“, der bereits Soldat ist oder einer werden wird, nimmt Abschied von seiner Liebsten. Das Vorspiel mit seinen Militärsignalen wirkt bedrohlicher als jeder aggressive Marsch, während die wiegenden Kantilenen der Liebenden ebenso zärtlich wie hoffnungslos wirken. Atmosphärisch und mit subtilsten Mitteln schildert Mahler die traurige Szenerie. Ist von der „grünen Heide“ die Rede, sind es nur noch „schöne Trompeten“, die den Soldaten begleiten. Mit seinem Ende im „Haus von grünem Rasen“ klingt das Lied aus – nach Moll gewendet und wie in weite Ferne gerückt.

Gustav Mahler fiel Achim von Arnims und Clemens Brentanos Sammlung „Des Knaben Wunderhorn“ Ende 1887 in seinem Domizil in der Leipziger Gustav-Adolf- Straße zufällig in die Hände – zu einer Zeit, in der er unter Arthur Nikisch als Zweiter Kapellmeister am dortigen Stadttheater seine Karriere voranbrachte. Für ihn muss die Anthologie eine Offenbarung gewesen sein, eine schier unerschöpfliche Quelle der Inspiration, die ihn für die nächsten fast fünfzehn Jahre beschäftigen sollte: „Alles fand er in ‚Des Knaben Wunderhorn‘, was seine Seele bewegte“, berichtet Bruno Walter, „und er fand es ebenso dargestellt, wie er es fühlte: Natur, Frömmigkeit, Sehnsucht, Liebe, Abschied, Nacht, Tod, Geisterwesen, Landsknechtart, Jugendfrohsinn, Kinderscherz, krauser Humor – all das lebte in ihm wie in der Dichtung, und so strömten seine Lieder hervor.“

Tatsächlich deckte sich die „Wunderhorn“-Lyrik mit Mahlers eigenem ästhetischen Empfinden und mit seiner Weltanschauung, da sie mit bittersüßer Ironie die Travestien des irdischen Lebens beschreibt – von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt: „Die höchste Glut der freudigsten Lebenskraft und die verzehrendste Todessehnsucht: beide thronen abwechselnd in meinem Herzen“, hatte der junge Komponist bereits am 17. Juni 1879 gegenüber seinem Freund Josef Steiner bekannt. In den „Wunderhorn“-Liedern fand er dafür hinreichende Entsprechungen. Hinzu kam Mahlers pantheistische Naturliebe, von der auch in dem bereits erwähnten Brief die Rede ist: „Und ich muß sie lieben, diese Welt mit ihrem Trug und Leichtsinn und mit dem ewigen Lachen. O, daß ein Gott den Schleier risse von meinen Augen, daß mein klarer Blick bis an das Mark der Erde dringen könnte! O, ich möchte sie schauen, diese Erde, in ihrer Nacktheit, ohne Schmuck, ohne Zierde, wie sie vor ihrem Schöpfer daliegt.“

Mahler vertonte zunächst fast ausschließlich Gedichte aus „Des Knaben Wunderhorn“. Wie keine andere Dichtung trafen die hier versammelten Abzählreime, Kinderverse, Liebes-, Wander- und Soldatenlieder den Tonfall seines ureigensten lyrischen Empfindens, was er viel später nur noch in den Gedichten Friedrich Rückerts finden sollte (wie in dem hochpoetischen Lied „Ich atmet’ einen linden Duft“, eines der typischsten Beispiele für die artistische Sprachmusikalität von Rückerts Lyrik). Allerdings griff Mahler von Anfang an massiv in die „Wunderhorn“-Texte ein, indem er neue Titel erfand, die Anordnung der Verse veränderte, sie ausließ und umdichtete. In dem frühen Lied „Ich ging mit Lust durch einen grünen Wald“ etwa werden die letzten beiden Strophen kurzerhand durch eine selbstgedichtete neue ersetzt, um das derb-triviale Ende zu vermeiden: Während in der Vorlage eine Frau vergeblich auf ihren Geliebten wartet, der sie beim „Bier und auch beim roten Wein bei einem schwarzbraunen Mägdelein“ vergessen hat, lässt Mahler die Geschichte mit einer offenen Frage enden: „Du schlaf selig˚ Mägdelein, nimm dich in Acht, nimm dich in Acht! Wo ist dein Herzallerliebster geblieben?“

Während in „Urlicht“ („O Röschen rot!“) menschliche Verzweiflung, aber auch Hoffnung in denkbar schlichte Worte gefasst werden, ist „Zu Straßburg auf der Schanz“ um den Ausdruck völliger Verzweiflung zentriert: als Monolog eines zum Tod verurteilten Deserteurs, der im Rhythmus eines düsteren Trauermarschs auf die Dinge wartet, die da kommen. Als einziges der frühen „Wunderhorn“-Lieder finden sich im Klaviersatz Hinweise auf Orchesterinstrumente und deren vorzustellende Klangcharakteristik, etwa, wenn bei allen tiefen Trillern „mit Hilfe des Pedals der Klang gedämpfter Trommeln“ nachgeahmt werden soll. Auch im „Tamboursg’sell“, in dem einmal mehr die Schrecken des Krieges am persönlichen Schicksal des Einzelnen verhandelt werden, forderte Mahler die „Nachahmung einer Militärtrommel“. Wie diese düsteren Soldatenschicksale gehören auch die „Kindertotenlieder“ auf Gedichte des Spätromantikers Friedrich Rückert zum Bewegendsten, das die Liedkunst hervorgebracht hat. Nirgendwo sonst führen Schlichtheit und Ungeheuerlichkeit, Naives und Grausames, Helles und Dunkles – kurz: führen Leben und Tod eine derart ergreifende Doppelexistenz, auch im zweiten Lied des Zyklus’ „Nun seh' ich wohl, warum so dunkle Flammen“.

Matthias Goerne

Matthias Goerne

Matthias Goerne, einer der weltweit führenden Baritone, wird für seine tiefgründigen Interpretationen von Opern und Kunstliedern gefeiert. Er tritt in renommierten Häusern wie der Metropolitan Opera, dem Royal Opera House, der Opéra National de Paris und der Wiener Staatsoper in Rollen wie Wotan, Amfortas, Marke, Blaubart und Wozzeck auf. Matthias Goerne arbeitet mit führenden Dirigenten zusammen – Simon Rattle, Kirill Petrenko, Gustavo Dudamel, Christoph Eschenbach, Franz Welser-Möst, Herbert Blomstedt, Myung-Whun Chung, Fabio Luisi, Andris Nelsons, Manfred Honeck, Jaap van Zweden und Yannick Nézet-Séguin – tritt regelmäßig mit großen Orchestern auf und ist Gast bei internationalen Festivals.

Matthias Goerne ist ein renommierter Künstler mit zahlreichen Auszeichnungen und fünf Grammy-Nominierungen und Mitglied der Royal Philharmonic Society. Um sein künstlerisches Spektrum zu erweitern, wird er in Toulouse sein Debüt als Regisseur mit „Salome“ geben. Zu den jüngsten Höhepunkten zählen Schuberts Liederzyklus mit Maria João Pires und Daniil Trifonov, der in ganz Europa (Musikverein Wien und Gewandhaus Leipzig), Nordamerika einschließlich der Carnegie Hall, Australien und Asien aufgeführt wurde, sowie die Weltpremiere von Jörg Widmanns „Schumannliebe“. Der Schubert-Zyklus wird nächstes Jahr in Paris aufgeführt.

Goerne arbeitet mit renommierten Pianisten wie Pierre Laurent Aimard, Leif Ove Andsnes, Vladimir Ashkenasi, Alfred Brendel, Christoph Eschenbach, Markus Hinterhäuser, Alexandre Kantarov, Vikingur Ólafson, Maria João Pires und Daniil Trifonov zusammen.

Er wurde in Weimar geboren und studierte bei Hans-Joachim Beyer, Elisabeth Schwarzkopf und Dietrich Fischer-Dieskau.

Markus Hinterhäuser

wurde in La Spezia, Italien, geboren. Er studierte Klavier an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, am Mozarteum Salzburg sowie in Meisterkursen bei Elisabeth Leonskaja und Oleg Maisenberg. Als Pianist trat er sowohl solistisch als auch in Kammerkonzerten bei den internationalen Festivals und in bedeutenden Konzertsälen auf, so etwa in der Carnegie Hall, dem Wiener Musikverein und Konzerthaus sowie der Mailänder Scala. Im Bereich Liedinterpretation arbeitete er langjährig mit Brigitte Fassbaender zusammen. Mit Matthias Goerne war Markus Hinterhäuser ab 2014 mit Franz Schuberts „Winterreise“ auf Welttournee. Diese Produktion wurde unter anderem beim Sydney Festival, an der San Francisco Opera, in der Cité de la Musique in Paris, in Amsterdam, Aix-en-Provence, New York, Seoul sowie beim Singapore International Arts Festival und bei den Berliner Festspielen aufgeführt.

Immer wieder wirkte er auch an Musiktheaterproduktionen von Christoph Marthaler, Johan Simons und Klaus Michael Grüber mit. Seit vielen Jahren konzentriert er sich zudem auf die Interpretation zeitgenössischer Musik, insbesondere engagiert er sich für das Werk von Luigi Nono, Karlheinz Stockhausen, Morton Feldman, György Ligeti und Galina Ustwolskaja.

Im Oktober 2016 übernahm er als Intendant die Leitung der Salzburger Festspiele. Im April 2024 wurde sein Vertrag vom Kuratorium ein weiteres Mal um fünf Jahre bis September 2031 verlängert.

2024 wurde Markus Hinterhäuser in Paris mit der Trophée Radio Classique für seine künstlerische Leitung der Salzburger Festspiele ausgezeichnet. Für „Der Idiot“ in der Regie von Krzysztof Warlikowski nahm er zuletzt die Auszeichnung als „Beste Aufführung des Jahres 2024“ bei den OPER! Awards in Brüssel entgegen. 2021 wurde Markus Hinterhäuser vom französischen Kulturministerium zum Officier de l’Ordre des Arts et des Lettres ernannt, im Dezember 2024 zeichnete ihn Landeshauptmann Wilfried Haslauer mit dem Ehrenzeichen des Landes Salzburg aus.

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