20.00 Uhr
Weihnachtskonzert des Georg-Friedrich-Händel-Gymnasiums
Konzerthausorchester Berlin
Joana Mallwitz Dirigentin
Maria Krykov Kontrabass
Das Programm
Wolfgang Amadeus Mozart (1756 – 1791)
„Serenata notturna“ D-Dur KV 239
Marcia. Maestoso / Menuetto – Trio / Rondeau. Allegretto
Missy Mazzoli (*1980)
„Dark with Excessive Bright“ für Kontrabass und Streichorchester
PAUSE
Richard Wagner (1813 – 1883)
Vorspiel zum 1. Akt der Oper „Lohengrin“
Joseph Haydn (1732 – 1809)
Sinfonie Nr. 102 B-Dur Hob I:102
Largo – Vivace / Adagio / Menuet. Allegro / Finale. Presto
Mozarts „Serenata notturna“ D-Dur KV 239
Ursprünglich komponierte der vielbeschäftigte 20-Jährige die Serenata notturna KV 239 für den Salzburger Fasching – ein ausgelassenes Event mit Maskenbällen, -Läufen und Kostümfesten auf der Straße, an denen je nach Stadt mehrere Tausend Menschen teilnahmen. Weil es in diesem chaotischen und maskierten Treiben mit den Jahren aber mehr und mehr zu Gewaltausbrüchen und sogar Morden kam – und weil der Obrigkeit die verkleideten Untertanen, ihre nächtlichen Umtriebe und geheimen Zusammenkünfte suspekt waren –, sprachen Landsherren im 17. und 18. Jahrhundert vermehrt Verbote gegen die entsprechenden Bräuche aus (die die Bevölkerung aber wiederholt ignorierte).
In Salzburg, Mozarts Heimatstadt, war das Narrenfest ein großes Ding – und so versteckt der Komponist in seinem Werk auch direkt einen subtilen Scherz: Damals war es nicht üblich, ein reines Streichorchester mit Pauken zu ergänzen (und die Trompeten wegzulassen). Durch den Schlaginstrumenteneinsatz wirken die ersten Takte beinahe militärisch, was das direkt folgende Cantabile der Solostreicher umso zarter fließen lässt. Gedacht war das ganze als auswendig zu spielender Marsch: Das Tutti wartete im Saal, während die Solist*innen in den Hof oder Saal einzogen. Im Menuett und Rondo – schwungvollen Faschings-Tänzen – kommen die Solostimmen ebenfalls ausführlich auf ihre Kosten, sei es im Trio oder dem ersten Couplet in der Gavotte. Am Ende, da kann man sicher sein, hat Mozart für seine Zeitgenoss*innen kleine Insider eingebaut: Auf ein kurzes Adagio folgt ein bäuerliches Allegro – ein „charmanter Effekt“, wie der Musikkritiker Orrin Howard schreibt, „auch wenn wir diese eingefügten Melodien nicht kennen und den Scherz daher nicht ganz verstehen. Wir können jedoch sicher sein, dass sein Salzburger Publikum ihn verstanden hat.“
Barocke Gesellschaftsszene. Gemälde von Franz Christoph Janneck, 1761
Missy Mazzolis „Dark with Excessive Bright“
Illustration zu John Miltons Paradise lost. Gustave Doré 1866
Als John Milton sein episches Gedicht „Paradise lost“ schreibt, ist er entmutigt: Dem überzeugten Anhänger der englischen Republik graut es vor der Restauration der Monarchie. Mit dem Tod des Lordprotektors Oliver Cromwell und der gescheiterten puritanischen Revolution im Jahr 1660 hatte sich seine gesellschaftspolitische Utopie zerschlagen, sein Paradies war verloren – der vollständig erblindete Dichter fand sich nunmehr nicht nur buchstäblich in einer dunklen Welt wieder, sondern auch symbolisch, gesellschaftlich.
Auf sein episches Gedicht „Paradise lost“, in dem er wenige Jahre später diese Situation verarbeitet, bezieht sich die Komponistin Missy Mazzoli in ihrem Werk „dark with excessive bright“ – der Titel ist ein Zitat aus dem dritten Gesang des Zyklus. Darin besingt der Erzähler zwischen dem Fall Satans und später dem Fall des Menschen, neben der brutalen Situation nach dem Sturz, dem Zwang zur Neuorientierung und dem erneuten Stolpern, die Vorstellung eines gleißenden Lichts, das Heilung verspricht und ein Ende der Zerstörungsspirale: „Und hüllst Du selbst das Leuchten Der Strahlen/ In Schatten ein, und legst Du eine Wolke/Um Deinen Saum, daß dunkel er erscheine“, heißt es gen Gott gerichtet, „es blendet doch den Himmel, daß die Engel,/Die strahlenvollsten selber, Dir nicht nahn,/ Mit beiden Flügeln nur die Augen decken.“ (Übersetzung von Adolf Böttger)
Missy Mazzoli sieht in dieser Beschreibung des hell strahlenden Dunkels eine Analogie auf den Klang des Solo-Instruments in ihrem Werk: „Ich liebe die Unmöglichkeit dieses Satzes und finde, dass er auf seltsame Weise den dunklen, aber herzzerreißenden Klang des Kontrabasses selbst treffend beschreibt.“ Inspiriert hat sie neben dem Text dabei ein konkretes Instrument: der im 16. Jahrhundert gebaute Kontrabass des Interpreten Maxime Bibeau. Sein Korpus, seine Saiten werden in Mazzolis Werk zu Botschafterinnen, zu weisen Zeugen einer vergangenen Zeit: „Ich stelle mir dieses Instrument als einen Historiker vor, als ein Objekt, das die Musik der vergangenen Jahrhunderte in den Windungen seines Halses und den Fasern seines Holzes gesammelt hat und sie schließlich im Alter von 400 Jahren in die Welt hinaus singt.“
Eingebettet in einen kontinuierlichen Strom aus Obertönen, gleitet, tanzt, singt dieses Instrument musikalische Klagen, Fragen und Gebetsfetzen – mal klingt seine Frequenz wie menschliches Summen, mal erinnert sie an das metallische Kratzen schwerer Maschinen, dann wieder zerfließt sein Flageolett im Streichernebel. Das Stück ist auf Effekt angelegt, auf den schnellen Wechsel zwischen verschiedenen Spieltechniken – Solistin und Ensemble reichen sich gleitende Töne und Themenideen von Bogen zu Bogen, von Ohr zu Ohr, werden akustisch mal eins, mal zu ästhetischen Gegenspielern. Nach den intensiven und unerbittlichen letzten Takten fällt die Musik in sich zusammen – es bleibt tiefes Dunkel. Oder gleißendes Licht. Oder beides. So oder so – bei Milton halten sich in diesem Moment die Engel ihre Flügel vor die Augen.
Vorspiel zum 1. Akt der Oper „Lohengrin“
Wer in Richard Wagners Oper „Lohengrin“ die Milton’sche Rolle des Teufels und wer die des zur Erde gesandten Gottessohnes erfüllt, scheint offensichtlich: Lohengrin, der auf einem Schwan herbeifahrende Gralsritter, bewahrt Elsa vor Gefängnis und Rufmord, befreit ihren Bruder und hätte beinahe noch die Brabantische Armee in einen siegreichen Krieg geführt – ein klischeehafter, gottgleicher Retter. Ortrud hingegen (mit Hilfe ihres Gatten Friedrich von Telramund), gierig auf den Herzoginnenstatus, verzaubert den eigentlichen Erben des Fürstentums (Gottfried) und versucht seine Schwester Elsa hinter Gitter zu bringen – teuflisch wie der Antichrist. Als narratives Zentrum, um das sich die Geschichte vordergründig dreht, verkörpert Elsa in dieser Interpretation die Menschheit: zwar mit einem freien Willen ausgestattet und lange Zeit widerständig, doch genauso naiv-gläubig wie verführbar.
Am Ende ist zwar wieder eine Art Gleichgewicht zwischen den göttlichen und teuflischen Mächten hergestellt (Ortrud und Telramund sterben, Lohengrin verschwindet), doch Elsa bricht in der Folge leblos zusammen. Die Welt ist nun aufgeräumt, könnte man sagen, und wird endlich ohne wankelmütige Frauen weiterregiert. Oder: Elsa und Ortrud haben ihre stereotypen Zwecke erfüllt und können jetzt weg. So oder so: Wagner hatte offensichtlich keine Verwendung mehr für femme fragil und femme fatal, diesen Scharnieren zwischen herrschenden Männeregos, ihm gingen offenbar schlicht die Ideen aus, wie diese Figuren weiter hätten erzählt werden können – selbst zum Sterben lässt er beide einfach nur faul umfallen. Mic drop.
In seiner Ouvertüre zur Oper stecken diese Machtverhältnisse bereits drin: Hier klingt, so Wagner, die „wunderwirkende Darniederkunft des Grales im Geleite der Engelsschar“ – eine schwebende, fein gesponnene Musik, die Friedrich Nietzsche mit einem Drogenrausch verglich, „blau, von opiatischer, narkotischer Wirkung“. Eins ist direkt zu Beginn musikalisch klar: Der Gral ist der Stern am Firmament, alles, was sich zuträgt, geschieht in Abhängigkeit zu ihm, zirkuliert in seinem Gravitationssystem. Elsas Vision ihres Retters Lohengrin im späteren Verlauf der Oper ähnelt motivisch dem Grals-Thema, und das Vorspiel zur Oper trägt die gleichen schwebenden Fata-Morgana-artigen Züge wie Elsas Vision. Die Zeit scheint hier stillzustehen, schreibt Theodor Adorno über das Vorspiel: „Rinnen in ihr Tage und Monde in den Augenblick zusammen, so vermag sie dafür zugleich den Augenblick als Dauer vorzustellen.“ Es geht nicht um Elsa oder ihre Geschichte – sie ist Staffage, Mittel zum Zweck –, sondern um den Gral und seine göttliche Macht die Geschicke auf der Erde vorauszusehen und zu beeinflussen.
Haydns Sinfonie Nr. 102 B-Dur Hob I:102
Nicht nur auf der Opernbühne, auch in der Musikgeschichte ist die Kraft einer guten Story nicht zu unterschätzen: Über Joseph Haydns Sinfonie in B-Dur Hob.I:102 kursierte lange Jahre das Gerücht, es habe sich bei der Uraufführung im Jahr 1791 ein Wunder zugetragen – weshalb Rezipient*innen dem Werk auch mal den Beinamen „The Miracle“ gaben. Allerdings: Der Kronleuchter, der angeblich während des letzten Satzes von der Decke fiel und seltsamerweise niemanden verletzte, war in Wirklichkeit erst vier Jahre später, 1795, herabgestürzt. Völlig egal dennoch – die Erzählung hält sich hartnäckig. Vielleicht auch deshalb, weil die Musik auch ohne äußeres Spektakel vor Energie und Einfallsreichtum nur so sprüht.
Der Musikwissenschaftler Nicholas Mathew argumentiert sogar, dass dieses Werk als Teil der Londoner Sinfonien explizit so konzipiert war, dass in der Gesellschaft darüber gesprochen werden sollte. Musikalisch hat der Komponist also ganz gezielt „Interessantes“ erschaffen: nur ein einzelner, unisono gespielter Ton etwa, der an- und wieder abschwillt, und als Eröffnung des ersten Satzes dient; starke Kontraste, etwa zwischen dem heiteren Menuett und dem gebrochenen Trio; oder ein kroatisches Marschthema im Presto, das Haydn vielseitig verwandelt, und dazu dezente humoristische Effekte in die Orchesterstimmen streut.
Das Konzerthausorchester Berlin spielt seit der Saison 2023/24 unter Leitung von Chefdirigentin Joana Mallwitz. Sie folgt damit Christoph Eschenbach, der diese Position ab 2019 vier Spielzeiten innehatte. Als Ehrendirigent ist Iván Fischer, Chefdirigent von 2012 bis 2018, dem Orchester weiterhin sehr verbunden.
1952 als Berliner Sinfonie-Orchester (BSO) gegründet, erfuhr das heutige Konzerthausorchester Berlin von 1960 bis 1977 unter Chefdirigent Kurt Sanderling seine entscheidende Profilierung und internationale Anerkennung. Seine eigene Spielstätte erhielt es 1984 mit Wiedereröffnung des restaurierten Schauspielhauses am Gendarmenmarkt. Zehn Jahre später wurde das BSO offizielles Hausorchester am nun umgetauften Konzerthaus Berlin und trägt seit 2006 dazu passend seinen heutigen Namen. Dort spielt es pro Saison mehr als 100 Konzerte. Außerdem ist es regelmäßig auf Tourneen und Festivals im In- und Ausland zu erleben. An der 2010 gegründeten Kurt-Sanderling-Akademie bilden die Musiker*innen hochbegabten Orchesternachwuchs aus.
Einem breiten Publikum auf höchstem Niveau gespielte Musik nah zu bringen, ist dem Konzerthausorchester wesentliches Anliegen. Dafür engagieren sich die Musiker*innen etwa bei „Mittendrin“, wobei das Publikum im Konzert direkt neben Orchestermitgliedern sitzt, als Mitwirkende in Clipserien im Web wie dem mehrfach preisgekrönten #klangberlins oder in den Streams „Spielzeit“ auf der Webplattform „twitch“. Die Verbundenheit mit Berlin zeigt sich im vielfältigen pädagogischen und sozialen Engagement des Orchesters mit diversen Partnern in der Stadt.
Joana Mallwitz ist seit Beginn der Saison 2023/24 Chefdirigentin und künstlerische Leiterin des Konzerthausorchesters Berlin. Auf internationaler Bühne zählt sie spätestens seit ihrem umjubelten Debüt bei den Salzburger Festspielen 2020 mit Mozarts „Cosí fan tutte“ zu den herausragenden Dirigenten ihrer Generation. Große Erfolge feierte die Dirigentin auch an der Metropolitan Opera New York, der Bayerischen Staatsoper, der Semperoper Dresden, am Royal Opera House Covent Garden, der Oper Frankfurt und dem Königlichen Opernhaus Kopenhagen. Regelmäßig wird sie auch weltweit von den großen Orchestern eingeladen. In der Saison 2025/26 wird sie zu Beginn einer mehrjährigen Zusammenarbeit mit dem Mahler Chamber Orchestra die Osterfestspiele Baden-Baden mit einer Neuproduktion von Wagners „Lohengrin“ eröffnen. Zur Saisoneröffnung am Opernhaus Zürich kehrt sie mit einer Premiere von Richard Strauss‘ „Rosenkavalier“ zurück.
Joana Mallwitz ist Exklusivkünstlerin der Deutschen Grammophon. Für ihre CD „The Kurt Weill Album“ mit dem Konzerthausorchester Berlin wurde sie als Dirigentin des Jahres mit dem OPUS Klassik ausgezeichnet. In der aktuellen Saison stehen mit dem Konzerthausorchester neben vielen Abonnementkonzerten eine Aufnahme der „Schöpfung“ von Haydn und eine Tournee auf dem Programm, die unter anderem nach Hamburg, Linz und Köln führt.
Mit ihrem Antritt am Theater Erfurt 2014/15 war Joana Mallwitz die jüngste Generalmusikdirektorin in Europa. 2018 wechselte sie in gleicher Funktion ans Staatstheater Nürnberg. Dort brachte sie zahlreiche Produktionen, Konzerte und Formate zu großer überregionaler Aufmerksamkeit und wurde bereits nach der ersten gemeinsamen Saison 2019 in der Kritikerumfrage der „Opernwelt“ als „Dirigentin des Jahres“ ausgezeichnet. Die von ihr ins Leben gerufenen „Expeditionskonzerte“ sowie die Gründungen der Orchesterakademie in Erfurt und der Jungen Staatsphilharmonie in Nürnberg sind anhaltende Erfolgsgeschichten. Die Staatsphilharmonie Nürnberg ernannte Joana Mallwitz im April 2024 zur Ehrendirigentin.
In Hildesheim geboren, studierte Joana Mallwitz an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Sie ist Trägerin des Bayerischen Verfassungsordens. Für ihre langjährige Arbeit im Bereich Vermittlung klassischer Musik und Nachwuchsförderung wurde ihr 2023 das Bundesverdienstkreuz verliehen. Der im Frühjahr 2024 erschienene Dokumentarfilm „Joana Mallwitz – Momentum“ von Günter Atteln stieß bei Publikum und Medien auf großes Interesse.
Joana Mallwitz lebt mit ihrer Familie in Berlin.
Maria Krykov studierte in ihrer Heimatstadt Helsinki, in Essen und an der Hochschule für Musik Hanns Eisler bei Matthew McDonald. Die Stipendiatin der Oscar und Vera Ritter-Stiftung ist Preisträgerin verschiedener internationaler Wettbewerbe, darunter der Internationale Instrumentalwettbewerb Markneukirchen 2018, die Leoš Janáček International Competition in Brno 2017, der Internationale J. M. Sperger Wettbewerb für Kontrabass 2016 und die First International Double Bass Competition in Ankara 2015. Im Jahr 2016 war sie Semifinalistin beim ARD-Wettbewerb, und 2019 teilte sie sich den Ersten Preis bei der International Bottesini Competition in Italien. Orchestererfahrung erwarb sie unter anderem bei den Berliner Philharmonikern, beim Royal Concertgebouw Orchestra und Mahler Chamber Orchestra. Bevor sie 2022 als Solo-Kontrabassistin ins Konzerthausorchester Berlin eintrat, war sie Stellvertretende Solo-Kontrabassistin im Helsinki Philharmonic Orchestra.
What was going on there? Our KHO musicians tell us about a snapshot before - or in this case after - a concert. This time: principal bass clarinet Norbert Möller and his camera.
Farewells to colleagues, pre-concert rehearsals and everyday scenes on tour, backstage encounters with conductors and guest artists - not only from the unusual perspektive of his seat on the woodwind podium, Norbert Möller has captured many special moments in the Konzerthausorchester with his small compact camera. It easily fits into the inside pocket of his tailcoat.