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Bachs Sonaten und Partiten für Violine solo aus dem Großen Saal

Mit den Konzertmeisterinnen Suyoen Kim und Sayako Kusaka sowie Viviane Hagner, Carolin Widmann, Veronika Eberle und Midori Seiler

Sechs hervorragende Berliner Geigerinnen haben die drei Partiten und drei Sonaten von Johann Sebastian Bach für unseren Stream eingespielt. Es sind die Ersten Konzertmeisterinnen des Konzerthausorchesters Suyoen Kim und Sayako Kusaka sowie Viviane Hagner (Artist in Residence 2007/08), Carolin Widmann, Veronika Eberle und Midori Seiler, die dem Konzerthaus Berlin seit langem verbunden sind.

In einem leeren Konzertsaal hallen Werke, Emotionen und künstlerische Begegnungen nach – ein zur Zeit stillgestellter Kosmos, der trotzdem bewegt.
Alle Partiten und Sonaten bleiben online.

Hier reinhören:

Suyoen Kim mit Bachs Partita Nr. 3

Bachs Sonaten und Partiten

Bachs Sonaten und Partiten für Violine solo sind eine Welt für sich, ein Kosmos: im Großen geordnet als klar umrissener Zyklus, aber in den Einzelwerken sehr individuell gestaltet und mit einer Fülle bemerkenswerter Details ausgestattet. Und nichts wiederholt sich.

Hans von Bülow bezeichnete die Präludien und Fugen des „Wohltemperierten Klaviers“ von Bach als das Alte Testament der Klaviermusik und die 32 Klaviersonaten Beethovens als deren Neues Testament. Die sechs Sonaten und Partiten für Violine solo von Johann Sebastian Bach sind für Geiger* innen Altes und Neues Testament zugleich – eine unerschöpfliche künstlerische Inspirationsquelle, deren technische und geistige Bewältigung eine Lebensaufgabe darstellt.

Als Reinschrift gibt das kostbare, heute in der Berliner Staatsbibliothek aufbewahrte Autograph von 1720 (so die eigenhändige Datierung Bachs) leider keine Hinweise auf Entstehungsprozess und -zeit. Wohl aber lässt sich aus der außergewöhnlichen Sorgfalt und Mühe des Komponisten für diese Handschrift schließen, wie sehr ihm die Werke am Herzen lagen. Möglicherweise ist die großartige Chaconne mit ihrem an französische Tombeau-Kompositionen erinnernden, diatonisch absteigenden Ostinato-Motiv sogar ein Epitaph für Bachs im Juli 1720 jung verstorbene Ehefrau Maria Barbara.

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    Sicherlich würden uns die Umstände der Entstehung und Bestimmung dieser Werke nicht in diesem hohen Maße interessieren, wären es nicht solche unvergleichlichen Meisterwerke. Bach vollbringt auf den vier Saiten der Violine das Kunststück, einen vollen mehrstimmigen Satz zu zaubern: nicht nur in realer Mehrstimmigkeit, also durch das gleichzeitige Anstreichen von drei oder gar vier Saiten, sondern auch in einstimmiger Melodieführung, die Akkorde gleichsam umschreibt und die Kadenzabläufe hörbar macht. Nicht zuletzt durch die Inszenierung der tiefen Saiten entsteht ein Violinsatz auf der Basis des traditionellen Generalbasses. Darüber hinaus hat Michael Erxleben, auch er Konzertmeister unseres Orchesters, in einem Programmhefttext darauf hingewiesen, dass bei Verwendung von Darmsaiten von fast gleicher Saitenspannung jede der vier Saiten eine ganz eigene Klangfarbe hat und somit die polyphonen Strukturen geradezu „plastisch“ herausgearbeitet werden können.

    Im Konzert der Nationen hatte sich Deutschland zur Bach-Zeit bereits eine gewichtige Stimme erarbeitet. Italien, als Wiege des damals modernen Barockstils immer noch als das „gelobte Land der Musik“ gepriesen, stand für Affekt, Virtuosität, Oper und ihr verwandte Kirchenmusik. Der französischen Musik dieser Zeit eignet gegenüber der häufig erhitzten Affektiertheit italienischen Musiziergeistes eine gewisse Kühle und Strenge, gepaart mit Eleganz und Feinheit des Ausdrucks. Die französischen Musiker entwickelten eine ganz eigene Art des Vortrags und der Verzierungskunst, die auf den typischen Melodieduktus ihrer Musik zugeschnitten ist, der in Tanz und Liedstrophe seinen Ursprung hat.

    Für Deutschland ist eher ein „vermischter“ Geschmack charakteristisch, wie er sich etwa in der Aneignung der französischen Tanzformen und Satztypen mit häufig typisch italienischer Themenbildung und Motivgestaltung ausdrückt. Auch war der deutschen Musik eine stärker ausgearbeitete Satzfaktur und „Vollstimmigkeit“ eigen. Diesem Hang zur Vollstimmigkeit begegnen wir sogar in Bachs Werken für Violine solo – sowohl in „realer Mehrstimmigkeit“ im simultanen Spiel auf drei oder vier Saiten als auch in einer den gesamten Tonraum des Instruments souverän ausnutzenden Melodieführung, die auch in der Einstimmigkeit dem Hörer ein Gefühl von Fülle und Ganzheit vermittelt.

Die Künstlerinnen

  • Sayako Kusaka

    Sayako Kusaka

    Sayako Kusaka studierte zunächst in ihrer Heimatstadt Tokio bei Takashi Shimizu und anschließend in den USA bei Eduard Schmieder sowie in Freiburg bei Rainer Kußmaul. Zu den zahlreichen Auszeichnungen, die sie erhielt, zählen der Erste Preis beim Rodolfo-Lipizer-Violinwettbewerb in Italien, die Silbermedaille und ein Sonderpreis beim Paganini-Wettbewerb, der Erste Preis beim Sibelius-Violinwettbewerb in Finnland und die Höchstauszeichnung bei den Michelangelo Abbado International Violin Competition. 2009 wurde sie mit dem Idemitsu Music Prize geehrt. Als Solistin und Kammermusikerin konzertiert sie in Europa, Japan und den USA. Seit März 2008 ist Sayako Kusaka Erste Konzertmeisterin beim Konzerthausorchester Berlin. Ebenso ist sie Konzertmeisterin des Konzerthaus Kammerorchesters und Primaria des Konzerthaus Quartetts.

    Sayako Kusaka im Gespräch

  • Suyoen Kim

    Suyoen Kim ist seit Beginn des Jahres 2018 Erste Konzertmeisterin beim Konzerthausorchester Berlin. Sie hat bei Helge Slaatto in ihrer Heimatstadt Münster, bei Ana Chumachenco in München und im Rahmen der Further Masters Studies an der Kronberg Academy studiert. Konzerte führten sie bisher nach Südamerika, Asien und Europa, solistisches Auftreten unter anderem zur Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, zu den Münchner Symphonikern und dem Seoul Symphony Orchestra. Seit Juni 2019 ist Suyoen Kim zudem Mitglied im Artemis Quartett, wo sie sich mit Vineta Sareika auf den Positionen der Ersten und Zweiten Geige abwechselt. Bereits während ihres Studiums gewann sie 2006 den Internationalen Violin-Wettbewerb Hannover; 2009 wurde sie Preisträgerin bei den Queen Elisabeth International Violin Competition in Brüssel.

    Suyoen Kim im Gespräch

  • Viviane Hagner

    Viviane Hagner

    Viviane Hagner ist gebürtige Münchnerin. 12-jährig gab sie ihr internationales Debüt und spielte bereits ein Jahr später mit dem Israel Philharmonic Orchestra und den Berliner Philharmonikern in Tel Aviv. Auftritte führten sie unter andern auch zum New York Philharmonic, Cleveland Orchestra, Gewandhausorchester Leipzig oder den Münchner Philharmonikern. In der Saison 2007/08 war sie Artist in Residence am Konzerthaus Berlin; im nächsten Jahr wird sie hier mit dem Konzerthausorchester Beethovens Violinkonzert aufführen und in der Reihe „2 x hören“ eine Uraufführung spielen. Überhaupt gilt ihr großes Interesse der zeitgenössischen Musik. Als Kammermusikerin ist Viviane Hagner gefragter Gast auf internationalen Festivals. Professuren führten sie an die Universität der Künstler Berlin und die Musikhochschule Mannheim.

    Viviane Hagner im Gespräch

  • Carolin Widmann

    Carolin Widmann

    Carolin Widmann wurde in München geboren und studierte bei Igor Ozim in Köln, Michèle Auclair in Boston und David Takeno in London. Seit 2006 ist sie Professorin an der Leipziger Musikhochschule. Sie erhielt unter anderem den Bayerischen Staatspreis für Musik und wurde als „Musikerin des Jahres” der International Classical Music Awards 2013 ausgezeichnet. Viele ihrer CD-Einspielungen erhielten Preise. In der Saison 2014/15 war sie Artist in Residence an der Alten Oper Frankfurt. Zu ihren künstlerischen Partnern zählen Spitzenorchester und renommierte Dirigenten sowie Kammermusiker weltweit. Sie widmet sich der Neuen Musik ebenso wie dem Spiel auf der Barockvioline, hat mit der Choreographin Sasha Waltz oder der Performancekünstlerin Marina Abramović zusammengearbeitet und spezielle Programme für Museen entwickelt.   

    Carolin Widmann im Gespräch

  • Midori Seiler

    Midori Seiler

    Midori Seiler wuchs in Salzburg auf und erhielt ihre musikalische Ausbildung in Basel, London und Berlin bei „modernen“ Geigern wie Sandòr Végh, David Takeno und Eberhard Feltz sowie Spezialisten für Alte Musik wie Thomas Hengelbrock. Sie erlebte als Mitglied den internationalen Durchbruch der Akademie für Alte Musik Berlin mit (von 2005 bis 2014 auch am Konzertmeisterpult) und ist unter anderem künstlerisch fest mit Jos van Immerseel, Jaap ter Linden, Kristian Bezuidenhoud, Andreas Staier, Anima Eterna Brügge (von 2002 bis 2014 Konzertmeisterin) und Concerto Köln verbunden und leitete Projekte beim Budapest Festival Orchester und der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen. Midori Seiler hat zahlreiche hochgelobte CDs vorgelegt. Lehrtätigkeit führte sie an das Mozarteum Salzburg und die  Musikhochschule Weimar.

    Midori Seiler im Gespräch

  • Veronika Eberle

    Veronika Eberle

    Veronika Eberle erhielt ersten Violinunterricht in ihrer Heimatstadt Donauwörth und studierte in München bei Olga Voitova, Christoph Poppen und Ana Chumachenco. Ein Konzert, das sie 16-jährig mit den Berliner Philharmonikern und Sir Simon Rattle in Salzburg gab, bedeutete den Beginn ihrer internationalen Karriere. Sie tritt als Solistin in Europa, Amerika und Asien auf und zählt Musiker wie Shai Wosner, Lars Vogt, Renaud Capuçon und Antoine Tamestit zu ihren Kammermusikpartnern. Veronika Eberle war Artist in Residence bei der Kammerphilharmonie Potsdam, „New Generation Artist“ (BBC Radio 3) und „Junge Wilde – Rising Star“ an Konzerthaus Dortmund. Beim Schleswig-Holstein Musik Festivals und den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern wurde sie mit Publikumspreisen ausgezeichnet. 2017 erhielt sie den Bayerischen Staatspreis.

    Veronika Eberle im Gespräch

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Digitale Konzerteinführung

zu J. S. Bachs Partiten und Sonaten von Dramaturg Dr. Dietmar Hiller

Suyoen Kim im Gespräch

Der Streamingplan | Mehr zu den Werken

  • 07.05. Sonate Nr. 1 g-Moll BWV 1001, Viviane Hagner

    Die Sonate g-Moll bildet das gewichtige Eingangsportal des Werkzyklus. Sie wird von einem Präludium eröffnet, das eine rhapsodisch-freie Melodieführung mit einer sehr stabilen Kadenzbewegung verbindet. Es schließt sich eine Fuge an, die den geistigen Mittelpunkt der Sonate bildet. Die obligate Drei- und Vierstimmigkeit, mit der die Fuge in den konsequent imitierenden Abschnitten anhebt, mündet immer wieder in ausgedehnte einstimmige Arpeggien-Figuren, deren Melodieführung jedoch auf dem Boden eines klaren Generalbassdenkens steht. Bach hat die Fuge später auch für Orgel übertragen. Der 3. Satz ist „Siciliana“ überschrieben und verbindet die gattungstypische 12/8-Bewegung mit eindringlichen Seufzer-Figuren. Das Finale (Presto) bleibt auf die Einstimmigkeit beschränkt, der Violinpart ist jedoch in rasanter Dreiklangsbewegung geführt und somit harmonisch ähnlich klar fixiert wie die anderen Sätze in ihrer zuweilen auf alle vier Saiten ausgedehnten Mehrstimmigkeit.

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      Seit 1917 wird das Autograph der sechs Sonaten und Partiten von Johann Sebastian Bach in der Musikabteilung der Berliner Staatsbibliothek aufbewahrt und ist eine der besonderen Preziosen dieser weltweit umfangreichsten Bach-Sammlung. Die in vollendeter Kalligraphie geschriebene Folge der „Sei Solo a Violino senza Basso accompagnato“ (wie das Autograph überschrieben ist) ist für jeden Musikfreund eine Augenweide, und man könnte sofort das Instrument nehmen (wer's denn kann ...) und aus der Handschrift spielen, so deutlich sind die Noten zu lesen. Der von Bach notierte Notentext ist praktisch fehlerfrei, und die Artikulationszeichen sind präzis und deutlich gesetzt (was auch bei Bach sonst nicht immer der Fall ist …). Für eine Edition bietet diese Quelle somit keine Probleme, darüber hinaus trägt die Handschrift sogar eine eigenhändige Datierung: 1720. Der Untertitel „Libro primo“ kündet eine Fortsetzung an, die man mit gutem Grund in den wohl gleichzeitig entstandenen sechs Suiten für Violoncello solo vermuten darf.

      Was aber verschweigt dieses kostbare Autograph? Als eine sehr sorgfältig ausgeführte Reinschrift nach der bereits existierenden Vorlage sind keinerlei Spuren des Schaffensprozesses – wie z. B. Korrekturschichten – zu erkennen. Die makellose Handschrift gibt lediglich das Endergebnis der Arbeit Bachs an diesen Werken wieder. Auch verrät die Datierung „1720“ zwar den Abschluss der Bachschen Beschäftigung mit diesen Violin-Soli – wie lange der Meister aber an diesen Werken gearbeitet und gefeilt hat, lässt sich allenfalls durch stilistische Vergleiche mit anderen datierbaren Werken diskutieren.

      War man früher eher geneigt, Bach eine mehrjährige Arbeit an diesem Werkzyklus zuzubilligen, so empfindet man heute den Unterschied in der spieltechnischen Ausarbeitung im Vergleich zu Violinpartien aus den Weimarer Jahren zu gravierend, so dass man eher eine kürzere Arbeitszeit annehmen möchte.

  • 14.05. Partita Nr. 1 h-Moll BWV 1002, Sayako Kusaka

    Sind die drei Sonaten für Violine solo strikt auf die Satzfolge der italienischen Sonata da chiesa mit ihren typischen Satzcharakteren festgelegt, so legte Bach den drei Partiten individuellere Satzfolgen zugrunde. Die Partita h-Moll bringt die vier „Standardtänze“ Allemande, Courante, Sarabande und zum Abschluss eine Bourrée, deren größerer Freizügigkeit der Komponist mit der Satzüberschrift „Tempo di Borea“ Ausdruck verlieh. Jeder dieser Tänze wird durch eine Variation, „Double“ genannt, ergänzt und die Satzanzahl auf acht erweitert. Während in den eigentlichen Tanzsätzen (mit Ausnahme der Courante) die Mehrstimmigkeit dominiert, sind die Doubles gänzlich in einstimmige Figuration aufgelöst, deren immanente harmonische Struktur in der Melodieführung umschrieben wird. Da die lebhafte Courante bereits auf Einstimmigkeit beschränkt ist, steigerte Bach im Double die virtuose Bewegung noch einmal von Achtel- auf Sechzehntelnoten. Sicherheitshalber gab er als Tempobezeichnung den Ausführenden noch ein „Presto“ (= sehr schnell) mit auf den Weg …!

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    Das kostbare Autograph in seiner graphischen Vollkommenheit und Makellosigkeit lässt viele Fragen unbeantwortet: Ist aus dieser Handschrift je musiziert worden und, wenn ja, von wem? Zum Beispiel von Bach selbst?

    Als Sohn eines Stadtpfeifers und Hofmusikus begann Bachs musikalische Unterweisung in Eisenach zweifellos zuerst auf den Streichinstrumenten, und das mit diesem Anfangsunterricht angestrebte Berufsbild war das eines vielseitig einsetzbaren Musikers, der mehrere Instrumente zu spielen in der Lage war, keines jedoch unbedingt mit virtuoser Perfektion. Nach dem frühen Tod der Eltern kam der junge Bach 1695 in die Obhut seines Bruders Johann Christoph, Organist an St. Michaelis zu Ohrdruf, der ihm eine gründliche Ausbildung angedeihen ließ, jedoch mit dem späteren Berufsziel eines Organisten, spezialisiert auf das ggf. sogar virtuose Spiel auf Tasteninstrumenten.

    Bachs Violin- und Bratschenspiel wird also professionellen Ansprüchen genügt haben, aber ob er selbst seine großen Solowerke, die sechs Sonaten und Partiten für Violine senza basso, angemessen hat vortragen können, gehört zu den vielen ungelösten Rätseln um den Musiker Bach.

    Doch ist durch Berichte von Schülern verbürgt, dass Bach diese Violin-Soli tatsächlich gespielt hat – allerdings auf dem Tasteninstrument, und dann nahm sich der Meister auch das Recht, die Harmonie mitunter etwas vollgriffiger auszuführen …

    Auch auswärtige Adressaten sind für diese Solowerke ins Gespräch gebracht worden, z. B. Bachs Köthener Konzertmeister Joseph Spieß oder der Dresdner Kapellkollege und spätere Konzertmeister Johann Georg Pisendel, mit dem Bach seit 1710 bekannt, ja befreundet war. Spieß‘ Violinkunst wird für uns im Solopart des 1. und 4. Brandenburgischen Konzerts greifbar. Aber können wir uns diese beiden wiewohl vortrefflichen Künstler tatsächlich als Adressaten dieses so außergewöhnlichen und einmaligen Violin-Opus vorstellen? Letztendlich geht der Blick immer wieder zurück zum Komponisten als einziger Lösung dieses Rätsels.

    Auf jeden Fall aber sind Bachs Sonaten und Partiten für Violine solo keine Musik nur zum Studieren und nicht zum Spielen (wie man es lange Zeit etwa für die „Kunst der Fuge“ angenommen hatte) – dafür sind zu viele Passagen so echt violinmäßig gedacht, so dass sie ihren Reiz nur in einem klingenden Vollzug entfalten.

  • 21.05. Sonate Nr. 2 a-Moll BWV 1003, Carolin Widmann

    Die drei Sonaten dieses Violin-Opus sind zunächst einem Typus verpflichtet, nämlich dem der Sonata da chiesa italienischer Provenienz in ihrem durch die Tradition vorgegebenen viersätzigen Ablauf. Das pathetische Präludium, mit dem die zweite Sonate a-Moll anhebt, scheint auf dem ersten Blick dem Einleitungssatz der ersten Sonate ähnlich zu sein, doch offenbaren sich bald Eigentümlichkeiten: Anstelle der „starken“ Kadenzen des Präludiums der Sonate g-Moll baut das Initium der Sonate a-Moll auf einer absteigenden Tonfolge auf und leitet mit einem Halbschluss direkt in die Fuge über. Diese wird von einem markanten, kurzen Thema bestimmt, und wie in der Fuge der g-Moll-Sonate nehmen freie Zwischenspiele in einstimmiger Faktur einen breiten Raum ein. Es folgt ein zauberhaftes Andante, sicherlich ein lyrischer Höhepunkt des gesamten Werkzyklus. War das Finale der Sonate g-Moll als Perpetuum mobile im 3/8-Takt mit durchgehenden Sechzehnteln in Dreiklangsbewegung aufgebaut, so wird die Sonate a-Moll durch einen Satz im Alla breve beschlossen, dessen geradlinige Sechzehntelbewegung durch Echos und eingebaute Zweiunddreißigstelnoten klanglich und rhythmisch belebt wird.

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    Seit 1717 war Bach als Hofkapellmeister in Köthen bestallt und hatte somit eigentlich die höchste Stufe der Karriereleiter erreicht, die ihm seine Ausbildung ermöglicht hatte. (Vielleicht hätte er sich noch eine Kapellmeisterposition in einer bedeutenderen Metropole, als es das kleine Köthen war, vorstellen können …) Da der Köthener Hof dem evangelisch-reformierten Bekenntnis anhing, spielte die Kirchenmusik in Bachs Amtspflichten praktisch keine Rolle. Bachs wichtigste Aufgabe war die Leitung der kleinen, aber erlesenen Hofkapelle, für die er aber auch reichlich Kompositionen bereitzustellen hatte. Dass diese Werke – nicht zuletzt aufgrund seiner eigenen Ansprüche an die Qualität des musizierten Repertoires – wohl größtenteils eigene Werke sein mussten, ist anzunehmen. Immerhin hatte Bach in Fürst Leopold von Anhalt-Köthen einen „gnädigen und Music so wohl liebenden als kennenden Fürsten“ als Chef, wie er Jahre später in einem Brief feststellte. (Möglicherweise hat Fürst Leopold auch ab und zu als Gambist in der Hofkapelle mitgespielt, wird an mancher Stelle vermutet …) In der Regel soll Bach das Orchester aus den Reihen der Streicher angeführt haben – Carl Philipp Emanuel Bach benannte in seiner Erinnerung dafür die Partie der Bratsche als „Mittelpunkt“ des musikalischen Satzes. Wenn sich der Kapellmeister als ausgewiesen berühmter Cembalist und Organist selbst ans Tasteninstrument setzte, dann konnte man gleich mal Außerordentliches erwarten, wovon etwa der Cembalo-Part des 5. Brandenburgischen Konzertes mit der brillanten „Endlos-Kadenz“ ein beredtes Zeugnis ablegt.

    Obwohl wir aufgrund dieser Lebens- und Arbeitssituation den Schwerpunkt der Bachschen Arbeit in der Instrumentalmusik – vor allem für Orchester und für kammermusikalische Formationen innerhalb der Hofkapelle – zu sehen haben, lassen sich nur wenige Werke exakt in diese Jahre 1717-23 datieren, so z. B. die sechs „Brandenburgischen Konzerte“, die Bach 1721 aus seinem Köthener Repertoire für Markgraf Christian Friedrich von Brandenburg zusammenstellte. Für andere Orchesterwerke – wie etwa die Ouvertüren oder die Violinkonzerte – liegt eine Entstehung in Köthen zwar nahe, aber deren Quellenüberlieferung setzt zumeist erst in Leipzig ein.

    Zuverlässig in die Köthener Kapellmeisterjahre zu datieren sind jedoch viele der großen Klavier- und Kammermusikwerke – diese aber entstanden nicht „im Dienst“, sondern für die Familie (z. B. für den Unterricht der ältesten Söhne) oder als selbstgestellte Aufgabe.

  • 28.05. Partita Nr. 2 d-Moll BWV 1004, Veronika Eberle

    Die Partita II d-Moll beginnt zunächst ganz konventionell mit Allemande, Courante, Sarabande und Gigue, gefolgt jedoch von dem alles andere in den Schatten stellenden Riesenbau der Chaconne. Vor diesem Wunderwerk mit seinen fast 15 Minuten Spieldauer verblassen all die großartigen Violinsolowerke, die die Barock-Ära vor Bach hervorgebracht hatte, wie z. B. die „Schutzengel-Passacaglia“ von Heinrich Ignaz Franz Biber (1744-1704) oder die eigenwilligen Suiten des in der Dresdener Hofkapelle wirkenden Johann Paul von Westhoff (1656-1705), der sein Leben als Kammersekretär in Weimar beschloss und den Bach dort möglicherweise noch hatte kennenlernen können.

    Alles an Bachs Chaconne ist großartig: die überlegene Disposition der Großform aus einem nur achttaktigen Ostinato heraus in eine klare, auf dem Gegensatz von Moll-Dur-Moll aufbauende Dreiteiligkeit, die Vielfalt der der Violine zugemuteten Satzformen von vierstimmiger und z. T. polyphon geführter Akkordik über einstimmige, die Akkordtöne umspielende Arabesken bis hin zu geradezu akrobatischer Virtuosität in 32stel-Figuren, aber auch die auf einem tiefernsten Grundaffekt aufbauende Ausdruckskraft dieser Musik.

     

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    Bach hat das Autograph seiner Sonaten und Partiten für Violine solo mit „1720“ datiert. Dieses Jahr brachte für Bach einen furchtbaren Einschnitt: Während er im Gefolge seines fürstlichen Dienstherrn im Sommer zur Kur in Karlsbad weilte, starb seine Frau Maria Barbara. Wenn wir der Überlieferung trauen dürfen, so erhielt er die Todesnachricht erst, als er in die Wohnung trat, um die geliebte Frau nach der langen Abwesenheit in die Arme zu schließen. Die außergewöhnliche Sorgfalt und Mühe des Komponisten bei der Erstellung dieser Handschrift lassen darauf schließen, wie sehr ihm diese Werke am Herzen lagen. Sollte die großartige Chaconne mit ihrem an französische Tombeau-Kompositionen erinnernden diatonisch absteigenden Ostinato-Motiv gar ein Epitaph für Maria Barbara sein? Dies wurde verschiedentlich behauptet und auch versucht, durch Rechenexempel zahlensymbolisch zu belegen.

    Allerdings sollten wir uns davor hüten, Empfindungsmuster späterer Zeiten unkritisch auf Johann Sebastian Bach und seine Zeit zu übertragen: Bach komponiert keine traurige Musik, weil er traurig war – noch herrscht eine Distanz zwischen persönlicher Befindlichkeit und Werk. Tod und Auferstehung in seinen geistlichen Vokalwerken ist durch deren Verortung in der Liturgie und deren Lese- und Predigtordnung vorgegeben. Aber andererseits ermöglichen ihm die persönlichen Leidenserfahrungen etwa, Leid und Tod in seinen Passionen und Kantaten in einer selbst uns heutige Hörer packenden Weise umzusetzen. Dazu bedurfte es allerdings nicht nur dieser Lebenserfahrung, sondern auch einer adäquat geschulten Kompositionstechnik – und natürlich auch etwas Genie!

  • 04.06. Sonate Nr. 3 C-Dur BWV 1005, Midori Seiler

    Die Sonate C-Dur beginnt nicht mit einem vierstimmigen „Paukenschlag“ wie die ersten beiden Sonaten, sondern zunächst einstimmig, aber in jedem Takt durch eine neu hinzutretende Stimme sich dann bis zum vierstimmigen Vollklang steigernd. Die anschließende Fuge ist sicherlich der Höhepunkt Bachscher Polyphonie auf der Violine: Diesmal exponiert Bach kein spielerisches Thema wie in den ersten beiden Sonaten, sondern ein „schweres Thema“ im Sinne des Stile antico. Wie in den anderen beiden Sonaten bildet der 3. Satz einen kantablen Ruhepunkt, während das Finale einmal mehr eine Probe vertrackter Virtuosität, wenn auch beschränkt auf die Einstimmigkeit, bietet

     

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    Bei seinen Violin-Solowerken hatte Bach schwerlich an eine Gesamtaufführung gedacht. Doch ist die Reihenfolge der sechs Werke durchaus planvoll angelegt: Auf jede Sonate folgt jeweils eine Partita, die Tonartenfolge geht von viermal Moll zu Dur in den letzten beiden Werken. In den Sonaten, alle im viersätzigen Grundriss der italienischen Sonata da chiesa aufgebaut, wachsen Komplexität und Ausdehnung von Werk zu Werk, die Partiten setzen jeweils „bizarre“ Satzfolgen dagegen, die jede für sich die traditionellen Muster zuweilen verlassen. Den Zykluscharakter stärkt außerdem die einheitliche Ausformung und Komplexität des musikalischen Satzes, der Denk- und Verschnaufpausen einfach nicht zulässt.

    Trotz ihrer starken Verankerung im zyklischen Verband sind die Einzelwerke sehr individuell gestaltet. Bach ging offenbar von der Maxime aus: Nichts soll sich wiederholen, kein Satzcharakter sollte eine Neuauflage erfahren!

    Selbst in den Sonaten, deren letzte Sätze jeweils einem Grundtypus verpflichtet sind, hat Bach immer neue Lösungen gefunden: im Finale der Sonate g-Moll als Perpetuum mobile im 3/8-Takt mit durchgehenden Sechzehnteln in Dreiklangsbewegung, in der Sonate a-Moll mit einem Satz im Alla breve, dessen „plane“ Sechzehntelbewegung durch Echos und eingebaute Zweiunddreißigstelnoten klanglich und rhythmisch belebt wird, in der Sonate C-Dur schließlich als rhythmisch strukturierter Satz im 3/4-Takt. Dass die Fugensätze der drei Sonaten in Taktart und Charakter stark differieren, versteht sich von selbst.

     

    Bachs Sonaten und Partiten für Violine solo sind eine Welt für sich, ein Kosmos: im Großen geordnet als klar umrissener Zyklus, aber in den Einzelwerken sehr individuell gestaltet und mit einer Fülle an bemerkenswerten Details ausgestattet. Und nichts wiederholt sich ...

  • 11.06. Partita Nr. 3 E-Dur BWV 1006, Suyoen Kim

    Mit Tanzsätzen wie Loure, Gavotte en Rondeau, Menuett, Bourrée und Gigue ist die Partita E-Dur dem französischen Suitenmuster verpflichtet, sieht man von dem einleitenden „Preludio“ italienischer Provenienz einmal ab. Auch die Ausformung der Einzelsätze ist in dieser Partita stärker vom französischen Geist durchweht als in den Tanzsätzen der anderen beiden Violin-Partiten (deren Satzüberschriften Bach dementsprechend konsequent italienisch bezeichnete).

    Das virtuose Präludium ist ein Feuerwerk unterschiedlicher Bogentechniken auf der Grundlage steter motivischer Fortspinnung des Ausgangsmaterials. Die anschließende Loure vertritt einen langsamen Satz in volltönender Akkordik und ausdrucksvoller Seufzermotivik. Mit Gavotte, Menuett und Bourrée wechseln unterschiedliche Bewegungscharaktere, deren Virtuosität in der abschließenden Gigue noch einmal zu einem Höhepunkt geführt wird.

     

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    Sicherlich würden uns die Umstände der Entstehung und Bestimmung dieser Werke nicht in diesem hohen Maße interessieren, wären es nicht solche unvergleichlichen Meisterwerke. Bach vollbringt auf den vier Saiten der Violine das Kunststück, einen vollen mehrstimmigen Satz zu zaubern: nicht nur in realer Mehrstimmigkeit, also durch das gleichzeitige Anstreichen von drei oder gar vier Saiten, sondern auch in einstimmiger Melodieführung, die Akkorde gleichsam umschreibt und die Kadenzabläufe hörbar macht. Nicht zuletzt durch die Inszenierung der tiefen Saiten entsteht ein Violinsatz auf der Basis des traditionellen Generalbasses. Darüber hinaus hat Michael Erxleben, auch er Konzertmeister unseres Orchesters, in einem Programmhefttext darauf hingewiesen, dass bei Verwendung von Darmsaiten von fast gleicher Saitenspannung jede der vier Saiten eine ganz eigene Klangfarbe hat und somit die polyphonen Strukturen geradezu „plastisch“ herausgearbeitet werden können.

     

    Im Konzert der Nationen hatte sich Deutschland zur Bach-Zeit bereits eine gewichtige Stimme erarbeitet. Italien, als Wiege des damals modernen Barockstils immer noch als das „gelobte Land der Musik“ gepriesen, stand für Affekt, Virtuosität, Oper und ihr verwandte Kirchenmusik. Der französischen Musik dieser Zeit eignet gegenüber der häufig erhitzten Affektiertheit italienischen Musiziergeistes eine gewisse Kühle und Strenge, gepaart mit Eleganz und Feinheit des Ausdrucks. Die französischen Musiker entwickelten eine ganz eigene Art des Vortrags und der Verzierungskunst, die auf den typischen Melodieduktus ihrer Musik zugeschnitten ist, der in Tanz und Liedstrophe seinen Ursprung hat.

    Für Deutschland ist eher ein „vermischter“ Geschmack charakteristisch, wie er sich etwa in der Aneignung der französischen Tanzformen und Satztypen mit häufig typisch italienischer Themenbildung und Motivgestaltung ausdrückt. Auch war der deutschen Musik eine stärker ausgearbeitete Satzfaktur und „Vollstimmigkeit“ eigen. Diesem Hang zur Vollstimmigkeit begegnen wir sogar in Bachs Werken für Violine solo – sowohl in „realer Mehrstimmigkeit“ im simultanen Spiel auf drei oder vier Saiten als auch in einer den gesamten Tonraum des Instruments souverän ausnutzenden Melodieführung, die auch in der Einstimmigkeit dem Hörer ein Gefühl von Fülle und Ganzheit vermittelt.

Alle Sonaten und Partiten

Viviane Hagner

Sonate Nr. 1 g-Moll BWV 1001

Sayako Kusaka

Partita Nr. 1 h-Moll BWV 1002

Carolin Widmann

Sonate Nr. 2 a-Moll

Veronika Eberle

Partita Nr. 2 d-Moll

Midori Seiler

Sonate Nr. 3 C-Dur

Suyoen Kim

Partita Nr. 3 E-Dur

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